80. Verbandstagung des West- und Süddeutschen Verbandes

„Jagen, Kämpfen, Saufen?

Zur Konstruktion von Männlichkeit in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften“ 

Sektion der AG Theorie in der Archäologie auf der 80.  Tagung des West- und Süddeutschen Altertumsverbandes vom 25. bis 28. Mai 2010 in Nürnberg

 

Uhrzeit Programmpunkt
10.30 Nils Müller-Scheeßel, Frankfurt a. M.: Einführung in das Thema
11.00 Steffen Knöpke, Zürich: Männer, Krieger, Tischgenossen – Der urnenfelderzeitliche Männerfriedhof von Neckarsulm
11.30 Matthias Jung, Frankfurt a. M.: Der „Big Man“ als Verselbständigung eines theoretischen Konstruktes von Männlichkeit
12.00 Mittagspause
14.00 Sabine Rieckhoff, Leipzig: Raubgierig, kriegslüstern, trunksüchtig? Fragen zum Männlichkeitsideal der Eisenzeit
14.30 Patrick Wagner, Freiburg i. Br.: Mannsbilder – Darstellungen der Jagd in der Ikonographie der frühen Eisenzeit und ihre soziale Bedeutung
15.00 Nils Müller-Scheeßel, Frankfurt a. M.: ‚Wann ist man ein Mann?‘ Synchrone und diachrone Veränderungen von männlichen Identitäten während der Älteren Eisenzeit Mitteleuropas
15.30 Pause
16.00 Svend Hansen, Berlin: Die Geburt des Helden
16.30 Laury Sarti, Hamburg: Vom Soldat zum Krieger? Vorstellungen von Männlichkeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter
17.00 Abschlussdiskussion

 


Steffen Knöpke, Zürich
Männer, Krieger, Tischgenossen – Der urnenfelderzeitliche Männerfriedhof von Neckarsulm

Das urnenfelderzeitliche Gräberfeld von Neckarsulm (Nordwürttemberg) bietet vielfältige Ansätze für die Diskussion um Krieger und Männlichkeit in der Spätbronzezeit. Dies gründet sich auf die Besonderheiten dieses Gräberfeldes wie etwa der Körperbestattung als ausschließlichem Bestattungsritus, der Tatsache, dass es sich – gestützt auf anthropologische Untersuchungen – bei den Toten um Männer handelt, der Vielzahl von Doppel- und Mehrfachbestattungen, den umfangreichen Waffenfunden sowie den Trinkgefässen als vorherrschender Gefässbeigabe.
Ausgehend von der These, dass es sich bei den Bestatteten um Angehörige eines Bundes oder vielmehr um eine auf Gefolgschaft aufgebaute Gruppe handelt, werden im Vortrag die verschiedenen Facetten dieses Befunds in puncto „Männlichkeit“ durchleuchtet, so etwa der starke innere Zusammenhalt dieser Männergruppe, welcher sich auch in gemeinsamen Trinkzeremonien andeutet. Das gemeinsame Trinken und die Bewirtung der Gefolgsleute ist auch als ein Indikator für zunehmende soziale Stratifizierung in der spätbronzezeitlichen Gesellschaft zu interpretieren. Zudem soll das Bild des Kriegers, wie man ihn aus antiken Quellen kennt, jenem gegenübergestellt werden, wie es sich in den Bestattungen aus Neckarsulm zu erkennen gibt. Im Vordergrund stehen hier Aspekte der Darstellung des Mannes als Krieger, des Körpers als Anzeiger sozialer Differenzierung sowie die Frage, ob es eine Kriegerelite in der Urnenfelderzeit gegeben hat.

Matthias Jung, Frankfurt a. M.
Der „Big Man“ als Verselbständigung eines theoretischen Konstruktes von Männlichkeit

Gegenstand des Beitrags soll eine Konstruktion eines männlichen Herrschers sein, die sich bei der Bestimmung der Verfasstheit prähistorischer Gesellschaften seit Längerem großer Beliebtheit erfreut: der „Big Man“. Diese auf M. Sahlins zurückgehende Kategorie bezeichnet ursprünglich eine an sehr spezifische Voraussetzungen gebundene Form der Herrschaftsorganisation in Melanesien, die dann aber zu einer quasi-universellen Etappe in der Entwicklung menschlicher Gesellschaften überhaupt generalisiert und in die neoevolutionistischen, auf M. Fried und E. Service zurückgehenden Schemata eingepasst wurde. Diese Generalisierung beruht, so glaube ich aufzeigen zu können, auf einem Missverständnis. Dieses soll zum einen durch eine Nachzeichnung der Entwicklung und Verselbständigung dieses Konstruktes vor allem in der Altertumswissenschaft und in der prähistorischen Archäologie sowie zum anderen durch die Bestimmung des Desiderates, welches das „Big-Man“-Konzept ausfüllen zu können prätendiert, erläutert werden: Faktisch fungiert „Big Man“ als Residualkategorie, die letztlich nur negativ definiert ist als Kontrastfolie zu dem Häuptlingstum – zugespitzt gesagt, ist ein „Big Man“ dadurch charakterisiert, dass ihm all das fehlt, was einen Häuptling auszeichnet. Abschließend werden Aspekte der Operationalisierung dieses Konstruktes in seiner Applikation auf archäologische Befunde zu thematisieren sein.

Sabine Rieckhoff, Leipzig
Raubgierig, kriegslüstern, trunksüchtig? Fragen zum Männlichkeitsideal der Eisenzeit

Für Griechen und Römer waren die Bewohner West- und Mitteleuropas raubgierige, kriegslüsterne und trunksüchtige Barbaren, halbe Nomaden, die Ackerbau für eine unmännliche Beschäftigung hielten. Dieser Topos diente 500 Jahre, von Herodot bis Tacitus, entweder der Abwertung oder Idealisierung von ‚Thrakern‘, ‚Kelten‘ oder ‚Germanen‘; er wurde von der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts kritiklos tradiert und lebt bis heute in der Populärliteratur fort: Asterix lässt grüßen! Aber auch die wissenschaftliche Literatur bedient sich bis heute des Topos vom ‚keltischen Krieger‘, der permanent in Scharen unterwegs ist und halb Europa erobert. Das Thema der AG regt dazu an, nach der Grundlage dieses Modells, nach dem gesellschaftlichen Stellenwert des eisenzeitlichen Kriegers zu fragen, der nur scheinbar allgegenwärtig ist: Weder die kleinen Dolche der „Hallstattfürsten“ noch Art und Weise der Waffenbeigabe in manchen latènezeitlichen Gräberfeldern assoziieren vorrangig Kampf und Krieg. Worin bestand in diesen Fällen die männliche Identität? An ausgewählten Beispielen (Großplastik des 6./5. Jh. v. Chr., Gräberfelder von Münsingen, CH, und Lamadelaine, L) soll mit Hilfe semiotischer und genderbasierter Methoden aufgezeigt werden, aus welchem Blickpunkt das jeweilige Männlichkeitsideal konstruiert worden sein könnte, das das Krieger-Sein ergänzt oder ersetzt hat.

Patrick Wagner, Freiburg i. Br.
Mannsbilder – Darstellungen der Jagd in der Ikonographie der frühen Eisenzeit und ihre soziale Bedeutung

Die Abbildungen der Situlenkunst stellen eine einmalige Quelle der europäischen Prähistorie dar, da sie im Gegensatz zu anderen archäologischen Quellen einen direkteren Einblick in die Vorstellungswelt der Menschen der Eisenzeit gewähren. Allerdings ist auch dieser Einblick nicht unmittelbar und wird getrübt durch zahlreiche Faktoren. Ein Thema, das uns dort immer wieder begegnet und bisher nur unzureichend als Freizeitbeschäftigung einer Oberschicht erklärt wird, ist das Jagen.
Auf Grundlage der Abbildungen der Situlenkunst und anderer früheisenzeitlicher Darstellungen, die das Thema Jagd zum Inhalt haben, wird ein Erklärungsmodell erarbeitet, demzufolge die Jagd in der frühen Eisenzeit eine wichtige Funktion in Initiationsritualen einnahm. Einige Details der Abbildungen, deren Bedeutung vorher ungeklärt war, können durch dieses Erklärungsmodell einer Deutung zugeführt werden. Zahlreiche Elemente von Initiationsritualen, die aus der Ritualforschung bekannt sind, finden sich auch auf den eisenzeitlichen Jagddarstellungen wieder. Die Häufung der Indizien ist frappierend: Erstens der immer wieder anzutreffende Bezug zur Männlichkeit, in der die Mannwerdung des Jungen ausgedrückt wird. Zweitens die Art der Darstellung des Jägers allein und nackt in der Wildnis, durch die der liminale Zustand des Initianten in der Umwandlungsphase betont wird. An dritter Stelle sind die mehrfach auftretenden Wiedergeburtsmotive zu nennen, die in solchen Ritualen von großer Bedeutung sind.
Dies lässt den Schluss zu, dass das Jagen während der frühen Eisenzeit eine zentrale Bedeutung in Initiationsritualen einnahm, in denen Menschen vom sozialen Status eines Jungen in den eines Mannes überführt wurden. Somit spielte die Jagd eine wichtige Rolle für die soziale Konstruktion von Männlichkeit.

Nils Müller-Scheeßel, Frankfurt a. M.
‚Wann ist man ein Mann?‘ Synchrone und diachrone Veränderungen von männlichen Identitäten während der Älteren Eisenzeit Mitteleuropas

Die Grabausstattungen der Älteren Eisenzeit Mitteleuropas sind einerseits außerordentlich vielfältig, andererseits jedoch auch standardisiert genug, um eindeutige geschlechtsspezifische Rollenmuster identifizieren zu können. Dies sind hervorragende Voraussetzungen, will man den synchronen und diachronen Wandel von Männlichkeit bzw. männlicher Identitäten während dieses Zeitabschnitts verfolgen. Im vorliegenden Beitrag werden einerseits synchron männliche und weibliche Ausstattungsmuster herausgearbeitet und miteinander sowie mit den anthropologischen Altersbestimmungen verglichen, um wesentliche Lebensstufen von Männern und Frauen zu unterscheiden und den Übergang von einer Stufe zur nächsten zu diskutieren. Dabei zeigt sich, dass Mädchen offenbar schon relativ früh der ‚weiblichen‘ Sphäre zugerechnet wurden, während man den Status von Knaben als ‚Männer‘ vermutlich erst im juvenilen Alter gesellschaftlich fixierte. Zur weiteren Beleuchtung dieser Beobachtung werden ethnographische Analogien herangezogen.
Schließlich fällt bei einer diachronen Betrachtung der ältereisenzeitlichen Grabausstattungen auf, dass die männlichen Beigaben der späten Phase einen Hang zur ‚Feminisierung‘ zeigen (z. B. Halsring, Dolch), worauf aus semiotischer Perspektive bereits St. Burmeister hingewiesen hat. Dieser Befund ist jedoch auch unter dem Aspekt der Männlichkeit zu analysieren und mit den Ergebnissen der synchronen Betrachtung in Beziehung zu setzen.

Svend Hansen, Berlin
Die Geburt des Helden

In meinem Beitrag gehe ich der Frage nach, ob der Heldentypus der homerischen Epen, der für die gesamte abendländische Tradition so prägend war, als eine anthropologische Konstante zu verstehen ist oder ob sich seine historische Genese nachzeichnen lässt. Ich versuche plausibel zu machen, dass sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. bzw. des frühen 3. Jahrtausends v. Chr. in vielen Teilen Europas die Ikonografie und damit verbunden auch die Ideologie des Helden herausbildet.

Laury Sarti, Hamburg
Vom Soldat zum Krieger? Vorstellungen von Männlichkeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter.

In Nordwesteuropa wurden ab dem fünften und bis ins siebte Jahrhundert den Verstorbenen vermehrt Waffen ins Grab mitgegeben. Diese Sitte tauchte somit zu einer Zeit auf, als immer mehr barbarische Gruppen gewaltsam ins Römische Reich eindrangen und zunehmende innere Machtstreitigkeiten einen Anstieg gewalttätiger Auseinandersetzungen hervorriefen. Für viele Bewohner des Reiches entstand damit erstmals die Notwendigkeit, sich zusätzlich zum staatlich gewährten Schutz gegen Gewaltangriffe zu schützen. Auch die zeitgenössische Grabsitte der Waffenbeigabe unterstreicht, dass Waffen nicht mehr ausschließlich im Dienste des römischen Imperiums geführt wurden, der Staat sein Waffenmonopol nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Im 5. Jahrhundert wurden Waffen oft nicht mehr lediglich vom Staat an einen kampffähigen Mann auf Zeit verliehen, sie wurden ihm vielmehr selbst für die Ewigkeit mitgegeben. Gleichzeitig verlagerte sich die absolute Befehlsgewalt über die Armeen tendenziell vom abwesenden römischen Kaiser weg hin zum lokal stationierten Heerführer. Das römische Militär verlor darüber zusehends den Charakter einer institutionalisierten Armee. Die Heere des frühen Mittelalters bestanden nicht mehr aus für einen festen Zeitraum rekrutierten Soldaten, sondern aus personal an eine Führungsperson gebundenen Kriegern. Im Rahmen der Tagung werde ich diese Entwicklungen an der Wende von der Antike zum Mittelalter weiter erläutern und vor allem auf die in diesem Zusammenhang sich verändernden Vorstellungen von Männlichkeit näher eingehen.

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