Rezension zu: Knut Petzold, Soziologische Theorien in der Archäologie.

Knut Petzold, Soziologische Theorien in der Archäologie.
Konzepte, Probleme und Möglichkeiten (Saarbrücken 2007)
von Martin Hinz
Archäologie ist als empirische Materialwissenschaft immer an den Einzelfall, das Besondere in der Hinterlassenschaft menschlicher Gesellschaften gebunden. Schließlich stellt jeder Fund, jeder Befund das Resultat einer einmaligen, individuellen Handlung dar. Gleichzeitig zielt ihr Interesse jedoch – als historische Wissenschaft – auch auf ein größeres Bild der Entwicklung von Gesellschaften ab. Somit steht sie explizit als Fach in dem Zwiespalt von Mikro- und Makrostrukturen. Wir beobachten den Einzelfall und versuchen, daraus das Allgemeine zu schlussfolgern. Um in diesen Zwiespalt zu geraten, ist es nicht einmal nötig, sich mit weitergehenden theoretischen Überlegungen zu beschäftigen. Bereits im traditionellen, alltäglichen Handwerkszeug tritt dieser Zwiespalt zu Tage: Eine Chronologie sollte über einen größeren räumlichen Bereich gelten, bezieht seine Informationen jedoch aus einzelnen Gräbern und Befundsituationen. Verbreitungskarten sollten die Verbreitung von wie auch immer gearteter materieller Kultur widergeben, dabei stellt jedoch jeder Punkt auf der Karte einen individuellen Einzelfall, eine einmalige Zusammenstellung von Funden und anderen Gegebenheiten dar.


Ein Teil dieses Problems ist die erkenntnistheoretische Ebene. Im Allgemeinen findet Archäologie als induktive Wissenschaft statt. Doch hier ergibt sich das Problem, dass eine Überprüfbarkeit der Interpretationen meist an ihre Grenzen stößt. Eine Möglichkeit des Auswegs ist die progressive Induktion (Bernbeck 1997, 50), bei der die induktive Interpretation immer wieder als Hypothese durch neue Daten überprüft wird. Dies entspricht weitgehend dem Wissenschaftsverständnis Karl Poppers (Popper 1998)
Parallel ergibt sich aber das Problem, wie eine kollektive Erklärungsebene und eine individuelle Handlungsebene überhaupt in einem wissenschaftlichen Kontext zu verbinden sind. Dies ist die Frage nach der Makro-Mikro-Verknüpfung, die auch im archäologischen Rahmen bereits diskutiert worden ist (Kümmel 2003).
An diesen beiden Problemen setzt nun Petzolds Arbeit an. Zum einen möchte er einen Weg aus der Induktionsfalle aufzeigen, zum anderen will er mit dem von ihm vorgeschlagenen Ansatz eine Brücke schaffen, die zwischen den beiden Skalierungsebenen der archäologischen Erkenntnis vermittelt. Sein Buch „Soziologische Theorien in der Archäologie. Konzepte, Probleme und Möglichkeiten“ stellt dabei die Publikation seiner Diplomarbeit im Fach Soziologie an der Universität Leipzig dar. Nach einer Einleitung (Kapitel 1) und Darlegung der Theoriediskussion im englisch- (Kapitel 2) und deutschsprachigen Raum (Kapitel 3) beleuchtet er die Frage des archäologischen Erkenntnisses (Kapitel 4), um dann den Strukturell-individualistischen Ansatz vorzustellen (Kapitel 5) und ihn mit anderen Theorieprogrammen zu vergleichen (Kapitel 6). Diesen Ansatz wendet er dann auf ein konkretes archäologisches Problem – die Errichtung von megalithischen Bestattungen im Raum des atlantischen Bogens – an (Kapitel 7). Den Schluß der Arbeit (Kapitel 8) bildet eine Zusammenfassung und ein Ausblick. Knut Petzold ist zurzeit Promotionsstipendiat am Graduiertenkolleg „Transnationale Räume“ an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).
In seiner Einleitung (Kapitel 1) stellt Petzold klar, dass für ihn „[e]ine, wenn nicht sogar die Hauptaufgabe der Archäologie […] die Rekonstruktion von Gesellschaft“ ist (Petzold 2007, 12). Für die Lösung dieser Aufgabe hält er die Zusammenarbeit von Soziologie als Gesellschafts- und Archäologie als Materialwissenschaft für angebracht. Er ist sich dabei bewusst, dass für eine solche Rekonstruktion „implizit oder explizit ein Menschenbild angenommen werden muss, nach welchem sich die Rekonstruktion, also die Interpretation der materiellen Hinterlassenschaften, richtet“ (Petzold 2007, 12). Jedoch sieht er offensichtlich nur die „Übernahme“ der Theorien aus der Soziologie als mögliche Option. Es bleibt aber festzuhalten, dass aufgrund des völlig anderen Quellenmaterials der einzelnen Disziplinen eine direkte Übernahme als schwierig anzusehen ist.
Im Folgenden (Kapitel 2 und 3) macht er eine deutliche Unterscheidung zwischen der deutschen und der angloamerikanischen Diskussion und stellt beide einander gegenüber. Dabei kommt er bereits in der Einleitung zu dem Schluss, „dass in Deutschland eine Übernahme sozialwissenschaftlicher Ansätze explizit nicht erfolgt ist […]. Die Interpretation materieller Kultur basiert hier weitestgehend auf unreflektierten, impliziten Annahmen“ (Petzold 2007, 13). Für den deutschsprachigen Raum legt er sehr gut dar, dass nach dem Krieg die Theoriediskussion unter dem „Kossinna-Syndrom“ weitgehend zum Erliegen kam. Wenn er allerdings im Weiteren verschiedene Autoren zu dieser Situation zitiert, übersieht er, dass diese nicht ohne Grund im Imperfekt schreiben. Schließlich stammen diese Zitate (Sommer 2002, Bernbeck 1997, Eggert 1998) aus Arbeiten, die explizit eine Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen des Faches wie auch mit der englischen Diskussion darstellen und ihrerseits eine stärkere Hinwendung auch der deutschsprachigen Archäologie zu theoretischen Themen markieren, die Anfang bis Mitte der 1990er Jahre stattfand. Beweis für die anhaltende Wirkung dieser Entwicklung sind nicht zuletzt die Arbeit der Theorie-AG und das Erscheinen dieses Rundbriefes. Somit entspricht das von Petzold gezeichnete Bild nicht mehr der aktuellen Forschungsrealität.
Der deutschen Theorieabstinenz stellt er im folgenden dritten Kapitel die Entwicklung im angloamerikanischen Raum gegenüber. Hierin legt er die prozessualistische wie die postprozessualistische Herangehensweise und die der kritischen Archäologie dar. Es gelingt ihm dabei, die jeweiligen erkenntnistheoretischen Hintergründe und deren Probleme deutlich zu machen. Diese beleuchtet er sowohl aus einer innerarchäologischen wie auch aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive.
Sein viertes Kapitel, das die Frage nach der archäologischen Erkenntnis stellt, widmet sich dem oft behaupteten Widerspruch zwischen der Methode des „Erklärens“ und der des „Verstehens“. Er stellt Archäologie und Soziologie in ihrem empirischen Gehalt gegenüber und erläutert darauf die Logik des Erklärens nach dem Hempel-Oppenheimer-Schema sowie die Methode des Verstehens als interpretierendes Verfahren. Sein Fazit ist, dass es nicht um ein Entweder/Oder gehen kann, sondern dass ein „verstehendes Erklären“ Ziel einer archäologischen Wissenschaft sein müsse (Petzold 2007, 72). Zur Verdeutlichung seiner Vorstellung greift er auf Webers Definition von Soziologie als Fach zurück.
Den Kern seiner Arbeit bildet das fünfte Kapitel, in dem er versucht, eine methodische Alternative zu den geschilderten Theoriegerüsten zu entwerfen. Kernpunkte sind der von ihm so genannte Strukturell-individualistische Ansatz (SIA, Petzold 2007, 14, der allgemein geläufigere Name ist „Methodologischer Individualismus“, vgl. Schumpeter 1908, bes. 88-98) und die Theorie der Rationalen Wahl (Rational-Choice, RC)). Um diesen zu erläutern stellt er zuerst verschiedene bereits in die archäologische Forschung übernommene Handlungstheorien vor (vor allem Giddens und Bourdieu) und diesen dann die Rational-Choice-Theorie gegenüber. Grundlegende Elemente der RC seien die Zentrierung der Analyse auf die Akteure (die handelnden Individuen), welche über Ressourcen besitzen, Restriktionen unterliegen und Präferenzen besitzen. Die Theorie gibt zudem eine Entscheidungsregel an, nach der die Akteure ihre Handlung wählen. Diese besagt, dass die Akteure die Handlung bevorzugen werden, die ihren Nutzen hinsichtlich ihrer Motivationen maximieren. Hierbei wird zwischen einer harten und einer weichen RC unterschieden: Die harte Variante berücksichtigt nur Eigennutzannahme und materielle Interessen, wohingegen die weiche RC auch moralische Entscheidungen und begrenzte (subjektive) Rationalität und Wahrnehmung als handlungsleitend anerkennt (Petzold 2007, 77-82). Zudem zeigt er auf, wie mittels eines SIA die Erklärungsmuster auf Makroebene (kollektive Phänomene) und Mikroebene (individuelle Akteure und Entscheidungen) verbunden werden und so eine kausale Erklärung produziert werden kann (Petzold 2007, 82-85). In einem Exkurs über Rationalität begründet er seine Ansicht, dass auch prähistorischen Menschen rationales Handeln unterstellt werden kann. Schließlich erläutert er, in welcher Weise die RC nach seiner Meinung in der Archäologie Anwendung finden sollte. Dabei verwirft er die Anwendung der weichen Variante aus zwei Gründen: 1. Wahrnehmungen und Präferenzen der prähistorischen Akteure seien nicht messbar. 2. Eine weiche RC fördere Tautologien und Ad hoc-Erklärungen. Daher hält er die harte RC als den einzig gangbaren Weg. Zudem stellt er physisches Wohlbefinden und soziale Wertschätzung als allgemeinmenschliche Kernmotivationen auf, die für die Analyse prähistorischer Handlungsszenarien daher nutzbar sein (Petzold 2007, 82-85).
In seinem sechsten Kapitel vergleicht Petzold die SIA mit anderen Theorieprogrammen in der Archäologie. Den Vorteil gegenüber der New Archaeology sieht er in der Einbeziehung der Mikroebene in die Untersuchungen, die eine analytische Tiefe und die Aufnahme von qualitativen Daten in die Untersuchungen ermöglicht. Gegenüber interpretativen Ansätzen betont er die Möglichkeit kausaler Erklärungen und der Falsifikation von Hypothesen sowie die Vermeidung von „grenzenlosem Relativismus“ (Petzold 2007, 100). Anderen Ansätzen gegenüber stellt er die geringe Zahl von Grundannahmen heraus, mit der ein SIA auskommt. Er zieht das Fazit, dass „der Strukturell-individualistische Ansatz für die Anwendung auf den materiellen Charakter archäologischer Hinterlassenschaften unter Berücksichtigung der Struktur- und Handlungsebene besser geeignet scheint, als alle weiteren theoretischen Ansätze der Archäologie“ (Petzold 2007, 102).
In positiver Weise erweitern diese beiden Kapitel 5 und 6 die Theoriebasis einer empirischen Wissenschaft um ein wertvolles Methodenensemble. Fraglich ist aber, ob durch seinen Ansatz die von ihm geforderte objektive Vorgehensweise erreicht werden kann. Ein Problem ergibt sich hierbei aus dem strengen Ansatz der RC, den er für seinen Methodenentwurf nutzt. Grundsätzliche Fragen bezüglich des Erfolges von Handeln nach individueller Nutzenmaximierung sind seit langem durch die Sozialwissenschaften (Axelrod 1987), aber auch durch die Wirtschaftswissenschaften (Braess 1968) aufgeworfen.
Einen guten Überblick über die Probleme, die sich aus einer solch strikten Anwendung der RC ergeben, bietet Kunz (1997). So schreibt auch bereits Max Weber „Denn nichts ist für den Menschen als Menschen etwas wert, was er nicht mit Leidenschaft tun kann“ (Weber, nach Kunz 1997, 281). Auch Leidenschaften oder das Vergnügen an der Handlung selbst können handlungsmotivierend wirken, können einen individuellen Nutzen darstellen. Dies sind dann aber individuell rationale Handlungen, die sich schwerlich durch eine spätere Analyse erschließen lassen. Doch selbst wenn man diese Handlungen außer Acht lässt, in der Annahme, dass sie sich in der Aggregation als statistische Größe auflösen, so bleibt der Fakt bestehen, dass sich Präferenzsysteme anderer Gesellschaften von den unseren unterscheiden können. Hinzu kommt, dass auch psychische Kosten und mentaler Nutzen individuelle Handlungsoptionen eingrenzen (Kunz 1997, 282). Diese werden in einer ökonomistisch orientierten Analyse kaum berücksichtigt.
Auch die Anwendung des Begriffes „Rationalität“ wirft Fragen auf. Der Handelnde hat nicht den gleichen Überblick über die Situation, die ein Beobachter oder der analysierende Wissenschaftler hat. Hier ist der Begriff der begrenzten Rationalität zu nennen. Eine solche eingeschränkte Rationalität des Handelnden schließt Petzold aus der Analyse aus (Petzold 2007, 88), sie ist jedoch die einzige Rationalität, die für Akteure zugänglich ist. Darüber hinaus ist der Handelnde Pragmatiker: Ihm reicht es meist aus, dass das Ziel erreicht wird. Ob dabei der rational günstigste Weg eingeschlagen wird, ist dabei oft zweitrangig (Kunz 1997, 285). Gerade wenn sich Routine einstellt, werden Wege eingeschliffen, die vielleicht im Einzelfall nicht die rationale Handlungsoption darstellen. Auf die Wichtigkeit solcher Routinen hat zum Beispiel Giddens hingewiesen (Giddens 1988, 111f.). Ein weiterer wichtiger Punkt, der der Theorie der Strukturierung Giddens zugrunde liegt, ist der Nebeneffekt einer Handlung. Nicht alle Ergebnisse von Handlungen sind vom Handelnden beabsichtigt, müssen aber in einer Handlungstheorie Berücksichtigung finden. Denn gerade gesellschaftliche Strukturen entstehen vor allem als Nebeneffekte von Handlungen (Giddens 1988, 56). Die Herausbildung von stratifizierten Gesellschaften war von den individuell Handelnden nicht beabsichtigt, ihnen ging es vor allem um ihren individuellen Nutzen.
Rationalität von Handlungen wird in einer strengen RC synchron beurteilt, Handlungen selbst sind jedoch von serieller Natur. Eine Handlung folgt auf die andere, so dass sich hieraus Veränderungen in der subjetiven Rationalität ergeben können. Eigendynamische Prozesse sind ein solches Beispiel. Eine Handlung kann einen Nebeneffekt haben, der die möglichen Handlungsoptionen der darauffolgenden Handlung derart einschränken, das hier kein Entscheidungsspielraum mehr gegegeben ist. Als archäologisches Beispiel einer solchen Kette kann die Einführung von Metallverarbeitung dienen, die zu einer Abhängigkeit von den Gemeinschaften führt, die den Rohstoff hierfür liefern. Ein Zurück in vormetallurgische Wirtschaftsweise ist kaum mehr möglich, selbst wenn in Krisenzeiten der Zugang zu Metall schwierig wird.
In einem sozialen Rahmen sind Handlungen nicht nur für sich zu betrachten. Hier treten Effekte auf, die durch die Interaktion von Individuen bestimmt sind. Dies führt zu weiteren Problemen in der Anwendung einer strengen RC. Durch unbeabsichtigte Nebeneffekte von Handlungen können Missverständnisse entstehen, die zu paradoxen Handlungsfolgen führen (Kunz 1997, 286). Kommunikation muss also ein wichtiger Bestandteil einer sozialen Handlungsanalyse sein. Hierdurch wird dann neben einer rationalen auch eine performative Ebene für die gewählte Handlungsoption wirksam, die durch eine streng logische RC nicht abgedeckt wird. Für die Befriedigung sozialer Bedürfnisse ist außerdem neben der Berücksichtigung der eigenen auch die Einbeziehung der Bedürfnisse anderer nötig. Soziales Handeln ist in der Isolation nicht möglich (Kunz 1997, 290). Daher entstehen oft Situationen sozialer Interaktion, die dem klassischen „Gefangenendilemma“ entsprechen: Die individuelle Nutzenmaximierung entspricht dabei nicht der optimalen Lösung einer Situation, da eine Zusammenarbeit für beide Seiten optimal wäre, für das Individuum aber das Ausnutzen des anderen die einzig logische Konsequenz darstellen würde. Das Entstehen von Kooperation lässt sich hierbei nicht mit einer harten RC erklären. Nur eine weiche Variante, die auch mentale und ethische Präferenzen oder irrationales Verhalten abbilden kann, ist hier erfolgversprechend.
Weitere Probleme ließen sich aufzeigen. Daher ist deutlich, dass für eine sinnvolle Analyse historischer Prozesse eine harte RC, wie sie Petzold vorschlägt, nicht greift. Nur eine Theorie, die auch die Veränderung von Präferenzen zulässt und mental-kognitive Prozesse in die Analyse miteinbezieht, kann für die Archäologie von Nutzen sein (Kunz 1997, 296).
Das siebte Kapitel stellt eine Anwendung des SIA auf ein konkretes archäologisches Problem dar, die plötzliche Entstehung von Megalithanlagen in ihrem Verbreitungsgebiet im 3. Jahrtausend v. Chr. Hierzu stellt er zuerst die bisherigen Deutungen des Phänomens kurz vor, um im folgenden das Explanandum explizit zu benennen: Auf Makroebene ist dies das Aufkommen der Megalithbauten im Arbeitsgebiet des „Atlantischen Bogens“, auf der Mesoebene (Ebene einer [lokalen] Gemeinschaft der Trichterbecherkultur) der Bau eines megalithischen Monumentes als kollektives Gut (Petzold 2007, 106). Um den SIA anzuwenden, beschreibt Petzold die gegebene Situation mit den wirkenden Präferenzen und Restriktionen. Da die Präferenzen als allgemeinmenschlich angenommen werden, bestehen diese aus physischem Wohlbefinden und sozialer Anerkennung. Restriktionen sieht er in demographischem Wandel, Wirtschaftweise, vorhandenem Material und Technologie gegeben. Auf dieser Grundlage versucht er, die Selektion innerhalb des möglichen Handlungsspektrums zu analysieren. Auch hier trennt er in eine Makro- und eine Mesoebene: Für die Mesoebene sieht er die Erschaffung eines gemeinschaftlichen Gutes als soziales Integrativ unter den gegebenen Restriktionen als Ursache der Errichtung an, auf der Makroebene die Orientierung und Angleichung an andere Akteure im Landesinneren (Rössener Kultur, Salzmünder Kultur) als bestimmend für die letztendlich gewählte Form des kollektiven Gutes, ebenfalls unter den gegebenen Restriktionen (Petzold 2007, 111ff.). Abschließend führt er die Ebenen zusammen (Aggregation) und zieht ein Fazit aus der Analyse.
Leider kann sein Anwendungsbeispiel die gestellten Ziele nicht ganz erreichen. Denn um es aufzubauen, muss er sich vieler Annahmen und teilweise grober Verallgemeinerungen bedienen. So ist eine Bevölkerungszunahme vom Meso- zum Neolithikum (Petzold 2007, 106) zwar sehr wahrscheinlich, keineswegs aber bewiesen. Sicher jedoch kann für das frühe und mittlere Neolithikum Holz nicht als knappes Gut bezeichnet werden (Petzold 2007, 107) – Pollenanalysen zeichnen hier ein gänzlich anderes Bild (Lüning 2000, besonders 27 bzw. 43f). Zudem finden wir auch in Gebieten, in denen Findlinge nicht natürlich vorkommen, monumentale Grabbauten, wie zum Beispiel Langhügel (Midgley 1985) oder Galeriegräber. Und auch Werkzeuge zur Holz- und Bodenbearbeitung sind für das Mesolithikum bekannt (für die Beile und Äxte erübrigt sich ein Nachweis an dieser Stelle, für Bodenbearbeitung sei nur auf Gramsch (1973, 39f) verwiesen). Dass gezielte Bodeneingriffe auch schon in dieser Zeit vorgenommen wurden, lässt sich anhand der mesolithischen Wasserlöcher von Friesack/Brandenburg gut belegen (Gramsch 1998). Somit lassen sich alle von ihm aufgeführten Restriktionen für das Mesolithikum widerlegen, die eine Errichtung dieser Anlagen nach der Situationsbeschreibung Petzolds verhindert haben sollen.
Fakt ist, dass sie trotzdem nicht errichtet worden sind. Wirtschaftsweise, Demographie, Material und Technologie taugen also nicht allein, um ihr Fehlen zu begründen. Andere – soziale und kulturelle – Faktoren haben hier eine bedeutende Rolle gespielt. Diese werden im Folgenden auch von Petzold aufgegriffen, wenn er die Selektion der Handlung (Bau eines Megalithgrabes) erläutert. Hierbei erläutert er, dass in einer Bauerngesellschaft der Einzelne gemeinwohlproduzierende Handlungen wählen wird (Petzold 2007, 109). Dies ist jedoch eine Schlussfolgerung (richtig oder falsch), die nicht automatisch aus der harten RC folgt (s.o.). Und sie erklärt auch nur, warum sich Individuen an der Errichtung eines kollektiven Monumentes beteiligten, nicht, warum dieses überhaupt errichtet wird.
Als zweite Ebene der Selektion führt er die Errichtung der Megalithgräber auf die Langhäuser der Linearband- und Rössener Kultur zurück. Er sieht hier für die Trichterbecherkultur den Drang der Nachahmung solcher kollektiver Bauwerke gegeben. Dadurch sollte sich nach seiner Meinung der Status der Gruppen von Trägern der Trichterbecherkultur bei ihre südlichen Nachbarn erhöhen, da Ähnlichkeit soziale Wertschätzung produziert (Petzold 2007, 111). Auch wenn man die zeitliche Diskrepanz außer acht lässt, kann man diesem Gedankengang nicht ohne Weiteres folgen. So kann man vielleicht eine Beziehung von Langhäusern und nichtmegalithischen Langhügeln (earthen long barrows) vermuten, für die megalithischen Bestattungen ist eine solche eher zweifelhaft. Eine Ähnlichkeit im Grundriss, wie sie Petzold behauptet, ist jedenfalls nicht gegeben (Petzold 2007, 111f.). Petzold schreibt selbst: „Von einer kontinuierlichen Interaktion der Akteure im Mittelelbe-Saale-Gebiet (Rössener Kultur, Salzmünder Kultur) und der Trichterbecherkultur ist nicht auszugehen…“ (Petzold 2007, 111), daher ist nicht zu erklären, warum für die Träger der Trichterbecherkultur eine hohe soziale Wertschätzung durch ihre südlichen Nachbarn überhaupt erstrebenswert gewesen sein sollte.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Petzolds Ansatz eine Bereicherung für eine lebhafte Theoriediskussion in der deutschsprachigen Archäologie darstellt. Dies in einer Diplomarbeit zu erreichen, ist eine beachtliche Leistung. Die Verbindung von Mikro- und Makroebene, die Konzentration auf individuelle Akteure und die methodische Stringenz des Verfahrens lassen hoffen, dass eine erfolgreiche Anwendung auf archäologische Fragestellungen grundsätzlich möglich ist.

Martin Hinz
Graduate School „Human Development in Landscape“
Institut für Ur- und Frühgeschichte
Johanna-Mestorf-Str. 2-6 D-24098 Kiel
mail@martinhinz.inf

 

Literatur
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