Programm der Sektion „(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität“

Am 20.-21.3. veranstalten wir auf der Tagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung (MOVA) und des West- und Süddeutsche Verbandes für Altertumsforschung (WSVA) gemeinsam mit dem Forum Archäologie in Gesellschaft (FAiG) wieder eine Sektion. Thema ist dieses Mal „(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität“

Programm (auch hier zum downloaden)

Dienstag, den 20.03.2018

8:45 Uhr • Stefan Schreiber (Berlin) / Kerstin P. Hofmann (Frankfurt a. M.), Begrüßung
9:00 Uhr • Artur Ribeiro (Kiel), Archaeology and the real: considerations on reality and the sciences
9:30 Uhr • Vesa Arponen (Kiel), Der „Reflective Turn“ in der Archäologie

10:00 Uhr • Kaffeepause

10:30 Uhr • Sophie-Marie Rotermund (Hamburg) / Geesche Wilts (Hamburg) / Stefan Schreiber (Berlin), Angst vor der Postfaktizität? Vergangenheiten als Bricolage
11:00 Uhr • Thomas Meier (Heidelberg), Vergesst Fakten
11:30 Uhr • Gabriele Rasbach (Frankfurt a. M.), „Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit.“ Postfaktizität an Beispielen aus der (Provinzial-Römischen) Archäologie
12:00 Uhr • Alexander Hilpert (Saarbrücken), „Die Villa der Secundinier“? Die römische Villa von Nennig und ihre „unsichere Geschichte“ im Spiegel der Forschung nach 1866

12:30 Mittagpause & Ende Tag 1 der Sektion (Un)Sichere Geschichte(n)

Mittwoch, den 21.03.2018

09:00 Uhr • Karin Reichenbach (Leipzig), Wem gehört die Vergangenheit? Archäologisches Reenactment als populäre Form der Geschichtsaneignung zwischen Postmoderne und Postfaktizität
09:30 Uhr • Ralf Hoppadietz (Bibracte), Versicherte Geschichte. Reenactment als Geschichtsvermittlung zwischen Post- und Kontrafaktizität

10:00 Uhr • Kaffeepause

10:30 Uhr • Rüdiger Krause (Frankfurt a. M.) / Rupert Gebhard (München), Das Narrativ von Bernstorf. Wissenschaftliches und Postfaktisches zu den Gold- und Bernsteinfunden
11:00 Uhr • Felix Wiedemann (Berlin), Die Einsichtigkeit der Erzählung. Formen narrativer Evidenz in den historischen Wissenschaften
11:30 Uhr • Lukas Bohnenkämper (Basel), Schwarz-Weiß-Malereien: Ägypten und Kusch zwischen Afro- und Eurozentrismus
12:00 Uhr • Kerstin P. Hofmann (Frankfurt a. M.), Erzähl mir doch (k)eine Geschichte(n)!

12:30 Uhr • Mittagspause

14:00 Uhr • Stefan Solleder (Berlin), Wann ist die Rekonstruktion der Vergangenheit wissenschaftlich? Theoretische Überlegungen anhand des Falls „Nordirlandkonflikt“
14:30 Uhr • Bärbel Auffermann (Mettmann), Von der Schatzkammer zum sozialen Raum
15:00 Uhr • Laura Löser (München), Mut zur Lücke. Ein Plädoyer für Bedeutsamkeit und Chance von Unsicherheit in archäologischer und historischer Museumsvermittlung

15:30 Uhr • Kaffeepause

16:00 Uhr • Doris Gutsmiedl-Schümann (Berlin), Archäologiestudiengänge zwischen (re)konstruierter Vergangenheit und historischer Wahrheit
16:30 Uhr • Jana Anvari (Berlin) / Eva Rosenstock (Berlin), Neolithic Doom: negative Darstellungen der Neolithisierung in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen

17:00 Uhr • Abschlussdiskussion


Abstracts

Artur Ribeiro (Kiel), Archaeology and the real: considerations on reality and the sciences

One of the most interesting aspects of twentieth century scholarship is the rise of a dichotomy separating the real from the unreal. Whereas in the philosophy of the 17th to the 19th century there was much discussion concerning whether knowledge depended primarily on empirical observation (empiricism) or on human faculties (idealism), in the 20th century we can recognize a shift towards discussions on what is ontologically real and what is not. This new development has generated countless debates and has added more confusion to our understanding of the role of science in society.

This differentiation of what is real and unreal is also what underlines the rise of new philosophical trends like object-oriented ontology, assemblage theory, and speculative realism. However, a closer look at this differentiation in these new philosophical trends reveals a series of fallacies and inconsistencies. What is “real” is apparently decided by scholars and scientists by completely arbitrary means and imposed authoritatively. A more coherent and productive way of thinking about reality is to return to common-sense and follow the Wittgensteinian principle that it is ordinary language which establishes our understanding of what is real and what is not.

In archaeology this means a return to more solid factual and evidential ground – one that is not bogged down by artificial and arbitrary distinctions between ontology, epistemology, constructed, and real. Furthermore, this aligns with postfactuality: we are now entering a period which should not be feared, much on the contrary, we should embrace postfactuality as an intellectual achievement given that it forces us, as a society, to recognize a clear and commonsensical distinction between what is real and fake.

Vesa Arponen (Kiel), Der „Reflective Turn“ in der Archäologie

Im philosophischen Critical Realism wird vom Epistemic Fallacy gesprochen: „that statements about being can always be transposed into statements about our knowledge of being” (Bhaskar 2008). Laut Critical Realism ermöglicht dieser „Irrtum” den Skeptiker zu behaupten, dass „our knowledge” immer im Prinzip vom „being”, Fakten, getrennt sein wird. Der kritische Realismus vertritt im Gegensatz dazu die Meinung, dass der Begriff der Wissenschaftlichen Untersuchungen nicht ohne das „Sein“ als strukturierter, regelmäßiger, vom Mensch unabhängiger Mechanismus aufgefasst werden kann.

Der Vortrag soll die Bedeutung dieser Debatte für die Geisteswissenschaftliche Forschungs­praxis evaluieren und dies anhand von Beispielen aus der archäologischen Praxis darstellen. Die Wissenschaft wird als ein dialogischer Prozess dargestellt, indem der Begriff des „Reflective Turn“ an Bedeutung gewinnt. Der wissenschaftliche Prozess wird als von Paradigmen gesteuert verstanden, welcher die Wichtigkeit der Selbst-Reflexivität und des ordentlichen, wissenschaftlichen Verfahrens darstellt. Dieser kann als eine Alternative gesehen werden, die auch z.B. aus konstruktivistischer Sicht betrachtet, verständlich sein kann: „knowledge must be viewed as a produced means of production and science as an ongoing social activity in a continuing process of transformation“ (Bhaskar 2008). In den Beispielen wird die Rolle der verschiedenen Begriffe der Macht und Ungleichheit in der archäologischen Interpretation diskutiert.

Literatur: Roy Bhaskar, A Realist Theory of Science (London / New York 2008 [1975]).

Sophie-Marie Rotermund (Hamburg) / Geesche Wilts (Hamburg) / Stefan Schreiber (Berlin), Angst vor der Postfaktizität? Vergangenheiten als Bricolage

Die Angst vor der Postfaktizität macht sich auch in der Archäologie bemerkbar. Jedoch greift ein Zurückziehen auf vermeintlich sichere, empiristische Positionen, wie sie bisweilen im Glauben an objektive, naturwissenschaftliche Methoden oder die Faktizität archäologischer Materialität praktiziert wird, häufig zu kurz. Denn Archäolog*innen sind nicht, und waren nie, die einzigen Akteure der Vergangenheitskonstruktionen.

Archäologische Konstruktionen unterscheiden sich durch eine methodische und kohärente Darstellung von anderen, zum Teil öffentlichkeitswirksameren Darstellungen. Eine Trennung in „faktische“ Wissenschaft und „postfaktische“ un-/nicht-/pseudowissenschaftliche Diskurse ist unserer Meinung aber nicht ausschlaggebend für den Erfolg vergangen­heitsbezogener Konstruktionen. Vielmehr ist es immer bereits eine Gemengelage aus unterschiedlichsten Interessen und Assoziationen, deren Qualität sich an der Viabilität und Anschlussfähigkeit an Erfahrungen und andere Konstruktionen bemisst (von Glasersfeld 1992, 30).

Wir wollen daher in unserem Vortrag mit Rekurs auf das Konzept der Bricolage nach Claude Lévi-Strauss (1991 [1962]) an verschiedenen Beispielen diskutieren, wie vielschichtig der Konstruktionsprozess der Vergangenheit ist. Denn dieser speist sich nie ausschließlich aus faktischem Wissen, sondern immer auch aus diversen anderen Quellen wie eigenen Interessen, Spielen, Filmen, Romanen, Sagen, Erzählungen, Märchen, Wünschen und Ängsten. Auf welche Art und Weise werden diese Quellen zusammengesetzt und welche Rolle spielt hierbei die Faktizität? Können und sollen faktische und ethische Qualitäten Einfluss auf die Vergangenheitskonstruktionen haben? Erst wenn wir verstehen, wie die Vergangenheiten als Bricolage entstehen, lassen sich die Aufgaben und Herausforderungen einer Archäologie im “postfaktischen Zeitalter” einschätzen und zugleich erkennen, dass wir schon immer in einem solchen leben.

Literatur: Ernst von Glasersfeld, Aspekte des Konstruktivismus: Vico, Berkeley, Piaget, in: Gebhard Rusch – Siegfried J. Schmidt (Hrsg.), Konstruktivismus: Geschichte und Anwendung. Delfin 1992 (Frankfurt a. M. 1992) 20–33; Claude Lévi-Strauss. Das wilde Denken. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991 [1962].

Thomas Meier (Heidelberg), Vergesst Fakten

Die Vorstellung, dass es empirisch beobachtbare Fakten gebe, die Zugang zu einer objektiven Wahrheiten ermöglichten, entwickelte sich seit dem 17. Jahrhundert und basiert auf der Annahme, dass die wahrnehmbare Welt Rückschlüsse auf ihren Schöpfergott zulasse, der in der christlichen Vorstellung absolut und einzig wahr ist. Auch wenn die Aufklärung den christliche Gott als letzten Grund der Welterkenntnis den Wissenschaften ausgetrieben hat, haben weite Teile dieser Wissenschaften weder die Suche nach der Wahrheit als Ziel noch den Zugang über empirische Fakten in Frage gestellt. Vielmehr hat das Spurenparadigma solche Fakten als Weg zu einer – oft historisch gedachten – Wahrheit auch in den Geisteswissenschaften etabliert.

Der Vorwurf des Post-Faktischen rekurriert auf diesen kulturellen, aber absolut gesetzten Faktenbegriff und soll zugleich beschreiben, dass divergente Argumentationen die logische Struktur einer empirischen Beweisführung verleugnen. Der Begriff des Post-Faktischen führt aber in die Irre, da Meinungsunterschiede gar nicht hinsichtlich der grundsätzlichen Existenz und Beweiskraft von Fakten bestehen, sondern hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit und Interpretationsmöglichkeiten. Insofern gehört der Begriff zu den fruchtlosen Disputen über nicht-hinterfragbare Glaubenssätze: „Die Wahrheit liegt in empirischen Fakten“ versus „Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters“. Ebenso fruchtlos ist der Versuch, empirische Faktizität ethisch zu begründen, da sich jeder beliebige ethische Standpunkt einnehmen lässt, und er immer nur innerhalb der Gruppe Bindungskraft entwickeln kann, die ihn bereits teilt.

Das Erschütternde an „post-faktischen“ Argumentationen ist vielmehr die Auflösung intersubjektiver Standards zugunsten einer rein subjektiven Willkür der Realitätssetzung. Innerhalb der Wissenschaft ist Post-Faktizität daher als Modus der Erkenntnisgewinnung unzulässig, weil Wissenschaft stets auf dem kontroversen Diskurs gleich erkenntnisbegabter Partner im Rahmen eines gemeinsamen Regelwerks der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit basiert. Außerhalb des Felds der Wissenschaft ist Post-Faktizität hingegen sehr viel schwieriger zu kritisieren, da gesellschaftliche Regelsysteme grundsätzlich veränderbar sind. Politisch betrachtet, verbergen sich hinter post-faktischen Argumentationen autokratische Ansprüche, so dass sich hier von einem ethischen, also kulturrelativen Standpunkt aus argumentieren lässt. Von historischer Seite sind die gesellschaftlichen Konsequenzen despotischer und willkürlicher Herrschaft als Optionen einer post-faktischen Zukunft vor dem Hintergrund entsprechender Vergangenheiten zu skizzieren.

Gabriele Rasbach (Frankfurt a. M.), „Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit.“ Postfaktizität an Beispielen aus der (Provinzial-Römischen) Archäologie

Das Zitat von Indiana Jones eröffnet eine Diskussion um Aussagemöglichkeiten und -grenzen in der Archäologie.

  • Durch die Interpretation von Befunde und Funden wird ein Narrativ entwickelt, das – quasi präfaktisch – publiziert wird, ohne quellenkritisch die Dinge zu hinterfragen.
  • Mit diesen Narrativen wird versucht, sich „der historischen Wirklichkeit“ zu nähern. In Ausstellungen und Publikationen Rekonstruktionen dieser unbekannten, vergangenen Wirklichkeiten – vergangene Landschaften und Siedlungsgefüge – „fotorealistisch“ als Fakten installiert. Dabei geht die Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten zunehmend verloren.

Die archäologischen Wissenschaften reagieren auf tatsächliche oder vermeintliche Vorgaben der Forschungspolitik und  gesellschaftliche Trends:

  • Forschungsergebnisse werden für einseitige historische Narrative missbraucht, die zu politischen und propagandistischen Zwecken genutzt werden
  • Die Forschung selbst übersteigert eigene Ergebnisse, besonders im Zusammenhang mit Bewertungskriterien oder zur Akquise von Drittmitteln und dieselben „sensationellen“ Ergebnisse werden gezielt medial vermarktet.

Aber falsche, gefälschte und „geschönte“ Nachrichten sind bereits aus der Antike selbst bekannt; leicht nachzuvollziehen ist dies bei der gezielten Falschinformation von politischen Gegnern, eine Vorgehensweise, die auch aktuell zur Anwendung kommt. Bis heute werden topoi von Fremden und „Barbaren“ bedient.

Postfaktizität ist mit einer diskussionsfreudigen Kommunikation von Forschungsergebnissen zu begegnen, denn wir können (und müssen) Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Themen nehmen (Landschaftsentwicklung durch Klimaschwankungen und die Veränderungen in Siedlungsmuster, die Reaktionen vergangener Gesellschaften auf Hunger und Krieg oder Migrationsbewegungen, um nur einige aktuelle politische Themen zu nennen). Aber in Abgrenzung zu pauschalen Urteilen gilt es klarzustellen, dass es monokausale Erklärung nicht geben kann; den daraus resultierenden Vorwürfen der mangelnden Bereitschaft zu „eindeutigen“ Aussagen müssen wir uns entgegenstellen. Wir Archäologen dürfen uns die Deutungshoheit über archäologische und historische Quellen nicht nehmen lassen.

Alexander Hilpert (Saarbrücken), „Die Villa der Secundinier“? Die römische Villa von Nennig und ihre „unsichere Geschichte“ im Spiegel der Forschung nach 1866

Der historische Blick auf die Forschungsgeschichte der römischen Villa von Nennig zeigt, dass es sich bei dem Wissen um diesen Fundort in großen Teilen um „unsichere Geschichte“ handelt: 1852 weckte die Entdeckung des prachtvollen Mosaiks europaweites Interesse, aber erst 1866 wurde eine größere Grabung durchgeführt, bei der unter anderem ein separates Badegebäude gefunden wurde. Der damalige Grabungsleiter Heinrich Schaeffer, dessen Biographie vom Referenten gerade im Rahmen einer historischen Dissertation untersucht wird, skizzierte damals Wandmalereien, die angeblich sofort verblassten, und Besitzer-Inschriften (der treverischen Familie der Secundinier), die dem Fundort eine herausragende Geschichte zuwiesen. Letzteres wurden nach jahrelangem epigraphischem

Streit als Fälschung erkannt. Weil man den Fundberichten nun nicht mehr traute, wurde die Villa 1869 erneut aufgedeckt, doch erst bei Grabungen im 20. Jahrhundert konnten wieder Wandmalereien dokumentiert werden. Die Skizzen, Beschreibungen und Erzählungen des 19. Jahrhunderts wurden dagegen bislang kaum analysiert. Ein von Schaeffer verfasstes Manuskript über die „Die Villa der Secundinier“ ist erst jüngst vom Referenten wiederentdeckt worden.

Der Vortrag untersucht die Manuskripte des ersten Grabungsleiters narratologisch und im Kontext des 150 Jahre währenden Diskurses um Nennig. Im Zusammenhang mit weiteren Briefen, Zeitungsartikeln und Zeichnungen aus der Feder des dubiosen Archäologen soll nicht nur ein Blick in die Plausibilisierungs- und Authentisierungsverfahren des 19. Jahrhunderts geworfen werden, sondern es soll darüber hinaus auch herausgearbeitet werden, welche Auswirkungen sie für die weitere Forschung hatten.

Karin Reichenbach (Leipzig), Wem gehört die Vergangenheit? Archäologisches Reenactment als populäre Form der Geschichtsaneignung zwischen Postmoderne und Postfaktizität

Im Vortrag möchte ich anhand von Beispielen aus der deutschen und polnischen Frühmittelalter-Reenactment-Szene die Problematik aufgreifen, dass insbesondere im Rückgriff auf angenommene vorchristliche, heidnische Lebensweisen Geschichtsbilder aktiviert werden, die an rechtsextreme, neopagan orientierte Ideologien anschlussfähig, und auf diese Weise Segmente der Reenactmentkultur auch nachweislich in rassistisch-neofaschistische Subkulturen und Netzwerke eingebunden sind.

Da Demokratisierungs- und Pluralisierungsprozesse der postmodernen Gesellschaft für die Vielfalt jüngerer Geschichtszugänge und damit für die Partizipation an der Herstellung von Vergangenheitsentwürfen verantwortlich gemacht werden, stellt sich hier die Frage, ob die Demokratisierung der Geschichtszugänge denn auch immer der Demokratie dient?

Wenn es aus erkenntistheoretischer Sicht keine absolute, beobachterunabhängige Instanz gibt, die darüber entscheiden kann, was ‚wahr’ ist, und wenn es angesichts der Unzugänglichkeit der – ja vergangenen – Vergangenheit keine Möglichkeit des Abgleichs mit den hervorgebrachten Geschichtsbildern gibt, wer kann darüber befinden, was ‚authentisch’ ist? Und wie und auf welcher argumentativen Grundlage können sich Wissenschaft und Museen zu problematischen Geschichtsentwürfen positionieren?

Ralf Hoppadietz (Bibracte), Versicherte Geschichte. Reenactment als Geschichtsvermittlung zwischen Post- und Kontrafaktizität

Momentan ist die Rede vom „Postfaktischen Zeitalter“ in aller Munde. Als relativ neues Phänomen angesehen, werden die wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen um die Möglichkeit des Nachweises einer objektiven Wahrheit der vergangenen Dekaden meist ignoriert.

Auch innerhalb der Ur- und Frühgeschichtsforschung wird bis heute zumeist wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir uns durch möglichst genaue und umfassende Daten- und (Arte-) Faktenanalyse einer historischen Wahrheit von vergangenem Leben (und Denken) annähern könnten. Die dabei produzierten Vorstellungen werden in der Folge weitgehend unreflektiert in die außerwissenschaftlichen Diskurse übernommen und als vermeintliche historische Gewissheiten verhandelt. Nirgends tritt die Annahme einer Faktizität unseres Wissens über die (eine) historische Wahrheit so deutlich zutage wie im Bereich der Vermittlung von Geschichte. Durch die Erschaffung von Lebensbildern und eine Visualisierung scheinbar „zum Leben erweckter“ historischer Realitäten durch archäologisches/historisches Reenactment werden vermeintliche Fakten in eine dauerhafte Form gegossen. Das daraus entstehende Konstrukt bietet weder die Möglichkeit, wissenschaftliche Unsicherheiten und Leerstellen unseres Wissens über vergangene Gesellschaften aufzuzeigen, noch alternative bzw. konkurrierende (Erklärungs-)Modelle. Dies betrifft vor allem die Darstellung sämtlicher immaterieller Kulturäußerungen, wie beispielsweise soziale und religiöse Vorstellungen. Neben dieser allgemeinen Problematik ist gerade im Bereich des Reenactment das Phänomen einer dezidiert ideologisch determinierten Darstellung zu beobachten, bei der jedwede wissenschaftliche Diskussionen zugunsten eigener außerwissenschaftlicher Überzeugungen negiert werden und die teilweise als kontrafaktisch bezeichnet werden muss.

Ausgehend von den erkenntnistheoretischen Überlegungen, die im Beitrag von Karin Reichenbach vorgestellt werden, soll der Vortrag anhand von konkreten Fallbeispielen zeigen, wie in Teilen des archäologischen Reenactment (teilweise bewusst) bestimmte Bilder einer Vergangenheit konstruiert werden, aus welchen (außerarchäologischen) Diskursen diese stammen und zu welchen Verzerrungen im Hinblick auf den allgemeinen Forschungsstand diese führen. Daneben soll aufgezeigt werden, wie langlebig diese erzeugten Bilder gerade im außerwissenschaftlichen Diskurs sind und zu welchen sich gegenseitig perpetuierenden Wechselbeziehungen diese führen.

Rüdiger Krause (Frankfurt a. M.) / Rupert Gebhard (München), Das Narrativ von Bernstorf. Wissenschaftliches und Postfaktisches zu den Gold- und Bernsteinfunden

Das Narrativ von Bernstorf besteht derzeit je nach Perspektive und Betrachter aus wissenschaftlichen Daten und Fakten ebenso wie aus Konstrukten wissenschaftlicher Halbwahrheiten und Unterstellungen. Mit der Auffindung der Goldbleche und der verzierten Bernsteine in Bernstorf, der größten Befestigung der mittleren Bronzezeit nördlich der Alpen, wurden 1998 und 2000 unmittelbar Fälschungsvorwürfe gegen die Finder, Mitglieder des Archäologischen Vereins Freising, vorgebracht, die bis heute eine zentrale Grundlage für die Fälschungsbefürworter darstellen. In der Folge entwickelten sich bis heute Unterstellungen, menschliche Zerwürfnisse und mit Daten und Argumenten unterschiedlicher Qualität gefütterte wissenschaftliche Konstrukte.

Die so entstandenen alternativen Fakten sollten dabei treffender im Rahmen eines der Legitimation einer bestimmten Position dienenden Rechtfertigungsnarrativs kommuniziert werden. Um es mit dem Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen zu formulieren (Forschung & Lehre 2/2107), „…deutet der Begriff des Post-Faktischen eine erlebbare Wahrheitskrise zu einem bereits feststehenden Resultat um, zum kaum vermeidbaren Übel“. Deshalb schlägt er vor, das postfaktische Zeitalter besser das „peinliche Zeitalter“ zu nennen, in welchem die Weltgemeinschaft der Wissenschaftler vor dieser Wahrheitskrise kapituliert.

Im Gegensatz dazu streben wir an, aus fundierten wissenschaftlichen Daten und Quellen, Ereignissen und Beobachtungen, ein Narrativ zu entwickeln, das eine konsistente epochenspezifische und übergreifende Darstellung des bronzezeitlichen Bernstorf ermöglicht.

Felix Wiedemann (Berlin), Die Einsichtigkeit der Erzählung. Formen narrativer Evidenz in den historischen Wissenschaften

Alle Wissenschaften streben nach Evidenz, d.h. nach Unmittelbarkeit, Augenscheinlichkeit und Einsichtigkeit ihrer Aussagen und Befunde. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive erweist sich Evidenz dabei nicht etwas Gegebenes, sondern als etwas Gewordenes und kann als das begriffen werden, was in einem bestimmten historischen, sozialen und epistemischen Kontext als einsichtig und überzeugend gilt. In jeder Epoche kursieren und konkurrieren verschiedene Evidenzformen, die etwa nach wissenschaftlichen Fachrichtungen, Disziplinen oder Diskursformationen unterschieden werden können.

In diesem Sinne weisen auch die historischen Wissenschaften spezifische Evidenzformen auf, die je nach Disziplin unterschiedliche Gewichtung erfahren. So eignet Evidenz nicht den im Rahmen einer Argumentation angeführten Quellen an, sondern stellt sich als Folge unterschiedlicher Auffassungen darüber ein, was als augenscheinlich oder offenkundig gilt. Der Beitrag wird zunächst die verschiedenen Evidenzformen und ihre Einteilungs­möglichkeiten in den historischen Wissenschaften skizzieren und anschließend auf eine spezifische Evidenzform fokussieren, die in allen ihren Zweigen eine gewichtige Rolle zu spielen scheint: die narrative Evidenz. Mit narrativer Evidenz hat man es dann zu tun, wenn die Überzeugungskraft einer Aussage wesentlich auf der Form der Erzählung basiert und sich nicht aus einem Erzählkontext herauslösen lässt. In den historischen Wissenschaften kommen narrative Evidenzen sowohl auf der Ebene der herangezogenen Quellen (sofern diese als explizite oder implizite Erzählungen begriffen werden können) als auch bei der Einbettung in den forschungsgeschichtlichen Kontext sowie schließlich bei der eigenen Darstellung ins Spiel. Sie erweisen sich mithin nicht erst bei der Vermittlung, sondern bereits bei der Konstitution historischen Wissens als konstitutiv.

Lukas Bohnenkämper (Basel), Schwarz-Weiß-Malereien: Ägypten und Kusch zwischen Afro- und Eurozentrismus

Im europäischen und US-amerikanischen Geschichts- und Rassendiskurs nehmen Ägypten und Kusch als historische Referenzpunkte seit dem 19. Jh. eine zentrale Stellung ein. Bereits Georg W. F. Hegel trennte Ägypter und Punier vom „geschichtslosen“ Schwarzafrika und Vertreter der Hamitentheorie wie Charles G. Seligman und Carl Meinhof festigten diese Trennung durch die Annahme einer überlegenen hamitischen Rasse. In diesem Zusammenhang sind auch William M. F. Petries einflussreiche Hypothese einer kultur­bringenden vorderasiatischen „Dynastic Race“ und James H. Breasteds nordost­afrikanische „Great White Race“ zu nennen. In den USA waren die Frage nach der rassischen Zugehörigkeit der Ägypter und die sich daraus ergebenden Implikationen für die Rechtfertigung der Sklaverei sogar grundlegend für die Entstehung der dortigen Ägyptologie. Seit dem 19. Jh. wird diesen Behauptungen von Forschern wie Martin R. Delany, George G. M. James, William E. B. Du Bois, Cheikh Anta Diop und Molefi Kete Asante die Auffassung entgegengestellt, dass Ägypten und Kusch schwarzafrikanische Gesellschaften und der Ursprung der Zivilisation gewesen seien. Der gesamtgesellschaftliche Diskurs, welcher durch Martin Bernals „Black Athena“ neu angefacht wurde, prägt auch heute noch die akademischen, musealen und massenmedialen Konstruktionen Ägyptens und Kuschs. Die Genese und aktuelle Wirkmächtigkeit dieser Geschichtsbilder sowie die Frage, wie sich die heutige Ägyptologie in diesem Diskurs positioniert beziehungsweise positionieren sollte, werden die Themen des Vortrages sein.

Kerstin P. Hofmann (Frankfurt a. M.), Erzähl mir doch (k)eine Geschichte(n)!

Dass man in der Archäologie nicht nur ausgräbt, sammelt, beschreibt und klassifiziert, sondern auch erzählt, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Die Fragen, wie man Geschichte(n) schreiben will und welchen Einfluss unterschiedliche Darstellungsweisen auch auf die Forschungspraxis haben, werden jedoch noch vergleichsweise selten diskutiert. Beschreiben und Erzählen sind nämlich nicht nur zwei unterschiedliche Darstellungsmethoden, sondern auch „grundlegend verschiedene Stellungen zur Wirklichkeit” (Georg Lukács, Erzählen oder beschreiben? Zur Diskussion über Naturalismus und Formalismus. In: Essays über Realismus. Georg Lukács Werke 4. Probleme des Realismus I (Neuwied 1971 [1936]) 197–242; hier: 206). In dem Diskussionsbeitrag geht es u. a. darum, zur Reflexion über die Eignung und Auswirkungen verschiedener Darstellungsformen und -methoden bei der Erforschung und Vermittlung von Brechungen, (Un)Kenntnis und Fremderfahrungen, von Raum und Zeit sowie von Sinnordnungen und ihren Hierarchisierungen anzuregen. Dabei sollen auch ethische Implikationen, die Möglichkeit der Abgrenzung von Fakten und Fiktionen und die Chancen und Risiken einer Orientierung an Kunst, Literatur und neuen anderen Medien angesprochen werden. Ist es wirklich sinnvoll, der immer lauter werdenden Forderung nach Narrativen nachzugeben? Was können uns narratologische und medienwissenschaftliche Theorien und Forschungen über unsere Wirklichkeits(re)konstruktionen und Forschungspraktiken lehren?

Stefan Solleder (Berlin), Wann ist die Rekonstruktion der Vergangenheit wissenschaftlich? Theoretische Überlegungen anhand des Falls „Nordirlandkonflikt“

Die Konstruktion und Benutzung von Geschichte(n) und historischen Mythen für politische Zwecke ist charakteristisch für den Nordirlandkonflikt. Beide Seiten, pro-irische Katholiken und pro-britische Protestanten, erschaffen ihre jeweiligen ethnischen Gruppen-Identitäten mit Bezug auf mythologische und historische Ereignisse (u.a. durch das Malen propagandistischer Wandbilder in den Straßen ihrer Hochburgen, sog. Murals). Die Ereignisse reichen von der jüngsten Vergangenheit über die 1910er Jahre, das 18., 17. und 11. Jh. bis in früh- und vorgeschichtliche Zeiten zurück. Charakteristisch ist jeweils, dass Mythen, historische Ereignisse und ‚Fakten‘ so interpretiert werden, dass sich mit ihnen Jahrhunderte oder gar Jahrtausende umfassende Kontinuitäten erschaffen lassen. Ersten geht es hier um die Konstruktion einer althergebrachten Feindschaft, zweitens um die Konstruktion einer uralten kulturellen Gruppe und drittens darum, territoriale Herrschaftsansprüche auf Nordirland zu legitimieren.

Auffällig ist an den Konstruktionen, dass sie – oftmals auf subtile Art und Weise – Geschichte in eine spezifische Richtung deuten durch Auslassungen, Betonungen, Verdrehungen, Interpretationen oder fehlendes Hinterfragen.

Der subjektive und kritisierbare Standpunkt der Produktion ethno-nationalistischer Geschichtsschreibung lässt sich daher relativ leicht identifizieren. Das Problem im Anschluss hieran besteht jedoch darin, den Standpunkt der Kritik an der ethno-nationalistischen Geschichtsschreibung exakt zu benennen. Was kann an der Arbeit der Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften besser – und nicht nur anders sein? Die These dieses Vortrags hierzu lautet, dass Wissenschaft dann ‚besser‘ sein kann, wenn sie einen besonderen ethischen und nicht nur einen besonderen methodologischen Standpunkt einnimmt, d.h., wenn sie Kritik nicht nur erträgt, sondern geradezu erwartet und aktiv herausfordert. Ethno-Nationalisten ertragen i.d.R. Kritik nur schwer, erwarten tun sie gar nicht und sie betrachten ihre Sichtweisen als ewige Wahrheiten.

 

Bärbel Auffermann (Mettmann), Von der Schatzkammer zum sozialen Raum

Museen halten sich in der eigenen Wahrnehmung für bedeutende Orte der Vermittlung von Vergangenheit, dabei haben ihnen im 21. Jahrhundert andere Medien längst den Rang abgelaufen. Der Vortrag zeigt Wege auf, mittels derer Museen heute versuchen, relevant zu bleiben. Im Neanderthal Museum verstehen wir uns als Lobbyisten für Evolutionslehre und Menschheitsgeschichte. Wir machen vielschichtige Vermittlungsangebote und bedienen unterschiedliche Kommunikationswege, um möglichst viele Zielgruppen zu erreichen. Das Badische Landesmuseum Karlsruhe denkt seine Dauerausstellung derzeit radikal neu und möchte sich als authentischer und sozialer Raum öffnen. Diese und weitere Beispiele werden aufgezeigt und hinterfragt. Reichen diese Maßnahmen aus, um von der Gesellschaft weiterhin als vertrauenswürdige Institutionen akzeptiert zu werden? Welche weiteren Schritte einer breiten Öffnung sind denkbar?

Laura Löser (München), Mut zur Lücke. Ein Plädoyer für Bedeutsamkeit und Chance von Unsicherheit in archäologischer und historischer Museumsvermittlung

Dürfen sich die Archäologien zu Unsicherheiten bekennen, wenn ihre Legitimität in der Gesellschaft ohnehin schon in Zweifel steht? Nein, so möchte ich in meinem Paper argumentieren, vielmehr stehen sie sogar in der Pflicht, die Öffentlichkeit über die grundsätzliche Fragwürdigkeit ihrer Ergebnisse aufzuklären.

Denn ein weitverbreitetes Missverständnis in der Bevölkerung ist, dass die Archäologie hauptsächlich dazu diene, die Vergangenheit zu illustrieren, nicht aber, sie zu verstehen [Nick Merriman, „Involving the Public in Museum Archaeology”. In: Robin Skeates (Hrsg.): Museums and Archaeology (Oxford/New York 2017) 550] Dass sich unter dieser Voraussetzung eine nachhaltige Wertschätzung für die Archäologien nicht halten kann, leuchtet ein. Daher sollten Vertreter*innen der archäologischen Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere in den Museen, fragwürdige Forschungsergebnisse nicht verstecken, sondern zur Diskussion stellen. So stärken sie das Bewusstsein für die Komplexität und die Bedeutung von archäologischer Forschung in der Gesellschaft.

In meinem Paper möchte ich jedoch dafür plädieren, noch einen Schritt weiter zu gehen und in einen Dialog mit den Menschen zu treten. Im Austausch mit der interessierten Öffentlichkeit werden wir immer wieder mit Problemen konfrontiert, die vermeintlich längst beantwortet sind. Wenn wir uns jedoch wirklich noch einmal die Quellen vornehmen, stellen wir nicht selten fest, dass unsere Antworten so eindeutig dann doch nicht sind. Die Fragen und Vorstellungen unseres Publikums kann und sollte daher unsere Arbeit befruchten, und wir sollten keine Angst davor haben, ihm ein gewisses Maß an Freiheit zuzumuten: am Beispiel einer kreativen Schreibwerkstatt, die ich kürzlich am Landesmuseum Mainz durchführen durfte, möchte ich den Stellenwert von Kreativität und Fantasie im Kontext von Museumsvermittlung erläutern.

Doris Gutsmiedl-Schümann (Berlin), Archäologiestudiengänge zwischen (re)konstruierter Vergangenheit und historischer Wahrheit

„In der Schule geht es um Antworten, an der Uni geht es um Fragen“ [Dr. Karin Beck, Leiterin des Colleges der Leuphana-Universität Lüneburg in einem Interview auf Spiegel Online am 6.5.2013 (http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/helikopter-eltern-hochschulen-entdecken-eltern-als-zielgruppe-a-897649-4.html [11.12.2017])].: Dieser Perspektivwechsel stellt für Studierende, gerade zu Beginn Ihres Studiums, eine große Herausforderung dar. In diesem Kontext ist m.E. zu sehen, dass Studierende mitunter erwarten, historische Wahrheiten gelehrt zu bekommen oder von ihren Lehrenden die Präsentation der einen, gültigen Geschichte einfordern.

Wie gehen die aktuellen Archäologiestudiengänge damit um? Zu welchen Zeitpunkt im Studienverlauf, in welchem Umfang und im Rahmen von welchen Modulen setzen sich die Studiengänge mit generellen erkenntnistheoretischen Problemen wie der im Call for Papers genannten Beobachterabhängigkeit gegenüber Erkenntnisgegenständen sowie fachspezifischen Aspekten wie der (Re)Konstruktion von Vergangenheitsentwürfen auseinander? Wird in den  Studiengängen die wissenschaftlichen Herangehensweisen an archäologische Quellen in diesem Kontext  problematisiert; wenn ja, wie und in welchem Rahmen? Wie wird in den Studiengängen gegenüber den Studierenden als künftigen Multiplikatoren archäologischer Themen Vergangenheit (re)konstruiert und vermittelt?

Ich möchte mich in meinem Beitrag auf Grund einer Analyse der aktuellen Studien- und Prüfungsordnung sowie der Modulpläne archäologischer Bachelor- und Masterstudiengänge mit diesen Fragen auseinandersetzen. Zugleich möchte ich diskutieren, wie sich im Kontext aktueller hochschuldidaktischer Konzepte die Studiengänge der Herausforderung der Vermittlung dieser mitunter schwierigen Fragen stellen können.

Jana Anvari (Berlin) / Eva Rosenstock (Berlin), Neolithic Doom: negative Darstellungen der Neolithisierung in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen

In den letzten Jahren und Jahrzehnten findet sich in populärwissenschaftlichen Medien (Büchern, Zeitungsartikeln, Blogs, Schullehrmaterialien) zunehmend die Meinung, der Übergang zur bäuerlichen Lebensweise im Neolithikum stelle eine große Fehlentwicklung dar. Weltweit habe die Neolithisierung zu bis heute spürbaren großen sozialen und gesundheitlichen Problemen sowie Umweltschäden geführt. Diese Veröffentlichungen bilden eine Paralleldiskussion, aus der kaum Austausch mit Archäologen stattfindet und deren Ansichten in einem ambivalenten Verhältnis zur archäologischen Diskussion ähnlicher Forschungsfragen stehen. Eine besondere Relevanz ergibt sich aus dem Umstand, dass die Autoren solcher Werke – von denen einige große Verbreitung und Aufmerksamkeit erfahren haben – eine (prä)historische Narrative häufig mit negativen Aussagen über die Gegenwart und Zukunft verbinden. Basierend auf einer empirischen Inhaltsanalyse einer repräsentativen Stichprobe von Medien strebt dieser Vortrag eine erste umfassende Beschreibung des ‚Neolithic Doom‘-Phänomens an. Forschungsfragen sind dabei: Welche negativen Folgen der Neolithisierung werden postuliert? Welche (archäologischen und anderen) Fallbeispiele werden zur Unterstützung herangezogen? Welche Zukunftsvisionen werden beschrieben? Ausgehend von dieser Analyse wird der Vortrag die Einbettung des ‚Neolithic Doom‘-Phänomens in philosophische und weltanschauliche Strömungen seit der Vormoderne beschreiben und diskutieren, welche Folgerungen sich für die archäologische Praxis ergeben.