Call for papers „Jagen, Kämpfen, Saufen?“

Jagen, Kämpfen, Saufen?
Die Konstruktion von Männlichkeit in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften

Call for papers für die Sitzung der Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“ während der Tagung des West- und Süddeutschen Altertumsverbandes
vom 25. bis 28. Mai 2010 in Nürnberg
Seit den 1980er Jahren wird die gesellschaftliche Rolle von Frauen in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften hinterfragt (Conkey/Spector 1984). Vor allem von feministischer Seite gibt es seitdem substantielle Bemühungen, die Frau nicht als passive Partnerin des Mannes, sondern als eigenständiges Subjekt mit eigenen Handlungsoptionen ausgestattet zu denken. Demgegenüber bleibt die Konzeptualisierung der Rolle des Mannes in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften seltsam einseitig. Man könnte sie auf die Stereotype „Jagen, Kämpfen, Saufen“ reduzieren. Erstaunlicherweise gilt dies sowohl für eher traditionelle Beiträge wie auch für explizit theoretisch ausgerichtete. Ist in unseren Rekonstruktionen ur- und frühgeschichtlicher Gesellschaften Platz für ein differenziertes Bild von Männlichkeit? Oder sind wir in biologistisch determinierten Stereotypen gefangen?

Zunächst muss gefragt werden: Was ist mit „Männlichkeit“ eigentlich gemeint? Je nach theoretischem Standpunkt wird man dazu durchaus unterschiedliche Antworten erhalten. Für die Soziobiologen sind männliche Charaktereigenschaften – und damit Männlichkeit an sich – weitgehend von Genen und Hormonen determiniert, d. h. beispielsweise männliche Aggressivität und Gewalttätigkeit angeboren. Den extremen Gegenstandpunkt dazu nehmen insbesondere von der feministischen konstruktivistischen Richtung beeinflusste ForscherInnen ein, die nicht nur das soziale Geschlecht (gender) als konstruiert ansehen, sondern die darauf beharren, dass auch die Auswahl der physischen Merkmale, auf deren Grundlage eine biologische Zuordnung zu einem Geschlecht (sex) erfolgt, keineswegs „natürlich“ gegeben sei, sondern ausschließlich gesellschaftlichen Konventionen unterliege (Butler 1991, 24). Einen alternativen Weg schlägt etwa R. W. Connell (2006, 64) ein, für den „Männlichkeiten […] durch das Geschlechterverhältnis strukturierte Konfigurationen von Praxis“ sind. Im expliziten Gegensatz zu den oben skizzierten soziobiologistischen oder konstruktivistischen Positionen hebt Connell die (männliche) Körperlichkeit hervor. Der Körper ist für ihn weder eine „Maschine“, die abhängig vom Genmix verschiedene Charaktere erzeuge, noch lediglich eine „Landschaft“, die den Hintergrund für die soziale Praxis liefere (ebd. 66ff.). Körper sind für ihn sowohl Objekte als auch Agenten der Praxis (ebd. 80). Einen besonders einflussreichen Aspekt in den Überlegungen von Connell stellt das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ dar (ebd. 97ff.). Diejenigen Männer, die die jeweilige hegemoniale Männlichkeit in idealer Weise verkörpern, haben danach besonders große Chancen, in der betreffenden Gesellschaft Macht und Ansehen zu erlangen.

Mittlerweile wurden im deutschen Sprachraum eine Reihe von Monographien und Sammelbänden zum Thema „Geschichte der Männlichkeit“ veröffentlicht, die die Anregungen von Connell und anderen aufgenommen haben (etwa: Erhart/Herrmann 1996b; Schmale 2003; Hanisch 2005; Dinges 2005; Hämmerle/Opitz-Belakhal 2008). Dagegen ist seit den zögerlichen Anfängen Ende der 1990er Jahre (Foxhall/Salmon 1998b; Foxhall/Salmon 1998a; Knapp 1998; Arch. Dialogues 5, 2, 1998; Caesar 1999; Hadley/Moore 1999) sehr wenig archäologisch Relevantes zum Thema „Männlichkeit“ erschienen (s. aber Alberti 2006). „Immer noch denken Zeitgenossen (und Wissenschaftler) bei dem Wort ‚Geschlecht‘ in erster Linie an ‚Frauen‘; ‚Männer‘ hingegen scheinen kein ‚Geschlecht‘ zu besitzen“ (Erhart/Herrmann 1996a, 6). Mit der geplanten Sitzung der Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“ soll ein Anfang gemacht werden, diese Lücke zu füllen.

Mögliche Beiträge können dabei in unterschiedliche Richtungen zielen: In der postmodernen Gegenwart ist es sicherlich angebracht, statt von „Männlichkeit“ im Singular von „Männlichkeiten“ im Plural zu sprechen; zu unterschiedlich sind in unserer Gesellschaft die männlichen Rollenmodelle und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften. Aber trifft dies auch auf die Vergangenheit zu? Können wir auch für ur- und frühgeschichtliche Gesellschaften von alternativen oder sogar konkurrierenden Männlichkeitsentwürfen ausgehen? Ist es möglich, hegemoniale Formen von Männlichkeit zu identifizieren, die über die gesellschaftliche Position von Individuen entschieden? Welche Rolle spielten möglicherweise homosoziale Vereinigungen („Männerbünde“) bei der Konstituierung von Männlichkeit? Gibt es Hinweise für „ernste Spiele“ (Meuser 2008), bei denen Männer bzw. Männlichkeiten mit- und gegeneinander in Wettbewerb traten? Lassen sich ‚Krisen der Männlichkeit‘ (Hämmerle/Opitz-Belakhal 2008) feststellen? Welche Aussagemöglichkeiten gibt es hinsichtlich der sozialen Transformation von Kindern in Männer? Inwieweit definierten sich die gesellschaftlichen Rollen von Männern und Frauen gegenseitig? Welchen geschlechtsspezifischen Rollen und Tätigkeiten kam in den jeweiligen Gesellschaften bei der Konstruktion von Männlichkeit mutmaßlich die größte Bedeutung zu? Lassen sich im archäologischen Fundgut Artefaktgruppen (Grabbeigaben, Horte etc.) identifizieren, die für die Konstruktion und Repräsentanz von Männlichkeit besondere Relevanz besaßen?

Dies sind stichpunktartig nur einige der möglichen Ansatzpunkte für die Beschäftigung mit der Konstruktion von Männlichkeit in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften. Erwartet werden weniger ausschließlich theoretische Beiträge – auch diese sind selbstverständlich willkommen –, sondern aussagekräftige Fallbeispiele, die das Thema „Konstruktion von Männlichkeit“ nicht nur an Einzelbeispielen diskutieren, sondern sich um einen Ausblick auf die gesamte betreffende Gesellschaft bemühen. Die Vorträge müssen sich dabei nicht auf Männer beschränken, sondern können sich auch mit Kindern oder Frauen beschäftigen, sofern die oben dargestellten Fragestellungen Berücksichtigung finden.

Neben der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie richtet sich dieser Call for papers ausdrücklich auch an andere archäologische Wissenschaften. InteressentInnen wenden sich bitte bis 28.2.2010 mit einem aussagekräftigen Abstract (ca. 200 Wörter) ihres geplanten Vortrags per e-mail an Nils Müller-Scheeßel (mueller-scheessel@gmx.net).

Zitierte Literatur
Alberti 2006: B. Alberti, Archaeology, Men, and Masculinities. In: S. M. Nelson (Hrsg.), Handbook of Gender in Archaeology. Lanham u. a.: Altamira 2006, 401–34.
Butler 1991: J. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991.
Caesar 1999: C. Caesar, The Construction of Masculinity – The Driving Force of History: A New Way of Understanding Change in the Past. Lund Arch. Rev. 5, 1999, 117–36.
Conkey/Spector 1984: M. Conkey/J. D. Spector, Archaeology and the Study of Gender. Advances Arch. Method and Theory 7, 1984, 1–38.
Connell 2006: R. W. Connell, Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Geschlecht & Ges. 8. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 32006.
Dinges 2005: M. Dinges (Hrsg.), Männer – Macht – Körper: hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Gesch. u. Geschlechter 49. Frankfurt a. M., New York: Campus 2005.
Erhart/Herrmann 1996a: W. Erhart/B. Herrmann, Der erforschte Mann? In: Erhart/Herrmann 1996b, 3–31.
Erhart/Herrmann 1996b: W. Erhart/B. Herrmann (Hrsg.), Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 1996.
Foxhall/Salmon 1998a: L. Foxhall/J. Salmon (Hrsg.), Thinking Men: Masculinity and its Self-Representation in the Classical Tradition. London, New York: Routledge 1998.
Foxhall/Salmon 1998b: L. Foxhall/J. Salmon (Hrsg.), When Men Were Men: Masculinity, Power and Identity in Classical Antiquity. London, New York: Routledge 1998.
Hadley/Moore 1999: D. M. Hadley/J. M. Moore, ,Death Makes the Man‘? Burial rite and the Construction of Masculinities in the Early Middle Ages. In: D. M. Hadley (Hrsg.), Masculinity in Medieval Europe. London, New York: Longman, 21–38.
Hanisch 2005: E. Hanisch, Männlichkeiten: eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2005.
Hämmerle/Opitz-Belakhal 2008: C. Hämmerle/C. Opitz-Belakhal, Krise(n) der Männlichkeit? L‘homme 19. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2008.
Knapp 1998: A. B. Knapp, Boys Will Be Boys: Masculinist Approaches to a Gendered Archaeology. In: D. S. Whitley (Hrsg.), Reader in Archaeological Theory: Post-Processual and Cognitive Approaches. London, New York: Routledge 1998, 241–9.
Meuser 2008: M. Meuser, Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer. In: N. Baur/J. Luedtke (Hrsg.), Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Opladen: Budrich 2008, 33 –44.
Schmale 2003: W. Schmale, Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000). Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2003.