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Reflexionen über die Bildung von Kategorien in der Archäologie: Ein Rückblick auf die gemeinsame Session der AG TidA und AG Geschlechterforschung 2022

Ein Gastbeitrag von Jana Esther Fries, Hanna Jegge & Sophie-Marie Rotermund

Im Zeitraum vom 5. bis 6. April 2022 führten Jana Esther Fries, Hanna Jegge (AG Geschlechterforschung) und Sophie-Marie Rotermund (AG TidA) erfolgreich die gemeinsame Online-Tagung: „Kategorienbildung und dann? Komplexität, Widersprüchlichkeit und Vielfalt archäologisch begreifen“ durch. Ziel der Tagung war es, die theoretischen Grundlagen und Ergebnisse der deutschsprachigen Archäologie im Kontext von Geschlechterfragen zu beleuchten sowie einen breiteren Blick auf die Bildung von Kategorien in der Archäologie insgesamt zu werfen. Die Input-Vorträge und Diskussionen während der Veranstaltung konzentrierten sich auf zentrale Fragen, darunter die Rolle von (starren) Kategorien in der Archäologie, die Formierung von Kategorien in der Geschlechterforschung und die Möglichkeit, in der Archäologie ohne Kategorien zu forschen. Die Tagung bot nicht nur informative Vorträge und Diskussionen, sondern integrierte auch Arbeitsgruppen im bewährten World Café-Format.

Dabei wurden Fragen aufgeworfen, die während der gesamten Tagung weiterverhandelt wurden: Wie werden Kategorien (auch in der Archäologie) gebildet, genutzt und gedacht? Wie tief zieht sich binäres Kategorisieren durch das Fach? Ab welchem Punkt werden Kategorien problematisch und ggf. hinderlich? Welche methodischen Mittel stehen uns zur Verfügung, um mit den vermeintlichen Widersprüchlichkeiten, der Komplexität und eventuellen Vielfalt von Geschlechtern in archäologischer Auseinandersetzung umzugehen? Können wir ohne Kategorien forschen?

Die Auseinandersetzung mit der Bildung von Kategorien erstreckte sich über drei Themenblöcke:

Im ersten Block wurde die Nützlichkeit und Unvermeidbarkeit von Kategorien erörtert. Hierbei wurde betont, dass sorgfältig gewählte Kategorien das Potenzial haben, neue Erkenntnisse zu generieren, während unüberlegte oder rigide Kategorien den wissenschaftlichen Fortschritt behindern können. Archäologische Forschung ganz ohne Kategorien erschien uns schon rein aufgrund der behandelten Datenmengen schwierig.

Der zweite Block widmete sich der Frage, wie Kategorien das Denken einschränken können. Es wurde hervorgehoben, dass die Bildung von Kategorien einen bedeutenden Machtfaktor darstellt und die Grenzen von Kategorien in der Archäologie flexibler gestaltet werden müssen.

Im dritten Block stand die Suche nach einem verbesserten Umgang mit Kategorien im Fokus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten verschiedene Lösungsansätze, darunter eine kontinuierliche Evaluation und Weiterentwicklung bestehender Kategorien, eine verstärkte Betonung der Beziehungen zwischen den Kategorien und die Vermeidung von binären Denkmustern.

Die Resonanz auf die Tagung war äußerst positiv, und sie wurde als weitaus hilfreicher als herkömmliche Vortragsveranstaltungen wahrgenommen. Teilgenommen haben 35 Personen. Besonders wurde betont, dass die Arbeit an Kategorien eine fortlaufende und unabdingbare Aufgabe ist. Das Interesse der Teilnehmenden an einer Ausweitung der Diskussion über die Bildung von Kategorien auf andere Themenfelder signalisiert einen anhaltenden Bedarf an einem umfassenden Austausch zu diesem komplexen Thema.

Literatur:
JANA ESTHER FRIES, HANNA JEGGE und SOPHIE-MARIE ROTERMUND, Kategorienbildung und dann? Komplexität, Widersprüchlichkeit und Vielfalt archäologisch begreifen, Blickpunkt Archäologie 2/2023, 143–150.

Weitere Informationen wie Programm und Abstracts der Tagung sind hier zu finden.

„Theorie | Archäologie | Reflexion 1: Kontroversen und Ansätze im deutschsprachigen Diskurs“ – jetzt online

Teilband 1 des Sammelbandes „Theorie | Archäologie | Reflexion: Kontroversen und Ansätze im deutschsprachigen Diskurs“ wurde am 18.10.23 veröffentlicht und ist ab sofort open access verfügbar unter: https://doi.org/10.11588/propylaeum.1092.

Das Buch ist auch als Print-On-Demand erhältlich und kann unter der Adresse book-orders@ub.uni-heidelberg.de erworben werden.

Es ist zugleich der erste Band der neu gegründeten TidA-Reihe „Theoriedenken in der Archäologie“: https://books.ub.uni-heidelberg.de/propylaeum/catalog/series/tida.

Den Herausgebern, Autor*innen und allen, die am Entstehen des Bandes und der Reihe mitgewirkt haben, herzlichen Glückwunsch und ein großes Dankeschön.

Frohes Lesen und viele Anregungen.

CfP „Materielle Perspektiven zu Alter & Altern in der Archäologie“

Call for Papers zur Sitzung der AG Theorien in der Archäologie (TidA) auf der Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung (WSVA) und des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung (MOVA) vom 25.–28. September 2023 in Tübingen zum Thema:

„Materielle Perspektiven zu Alter & Altern in der Archäologie. Soziale & somatische Beziehungen zwischen Menschen & Dingen“

[Download des CfP]

Altern und Altwerden können als grundlegende Herausforderungen der Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft verstanden werden. Während das Thema Kindheit in der aktuellen archäologischen Forschung mittlerweile präsent erscheint, werden Fragen zu anderen Lebensphasen, insbesondere des Alters, Altwerdens sowie -seins und -bleibens immer noch sehr selten thematisiert. Trotz bioarchäologischer, anthropologischer und sozialarchäologischer Fundierungen der Archäologie fehlen speziell theoretische Ansätze zu diesem Themengebiet.

Unsere Sektion widmet sich daher theoretischen Aspekten des Alters und Alterns, ohne dabei ausschließlich auf Alter als biologische oder soziale Kategorie abzuzielen. Wir wollen gängige vereinfachende Stereotype wie Alter = Weisheit, = Gebrechlichkeit, = Macht, = Prestige/Wert usw. aufbrechen. Stattdessen möchten wir sowohl die Trennung als auch die Kategorisierung von biologischen oder natürlichen und sozialen oder kulturellen Prozessen grundsätzlich in Frage stellen. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass sich Materie, Körper und Praktiken in einem ständigen Prozess verflechten und transformieren. Daher verstehen wir Älterwerden und Altwerden als vielschichtige Veränderungen des Lebens, die nur in wechselseitigen und vernetzten sozialen, psychischen und somatischen Beziehungen zwischen Menschen und Dingen wirksam werden. Diese können z. B. die Tabuisierung oder Betonung des Altwerdens, die Ausprägung und Institutionalisierung von Sorgebeziehungen oder die Etablierung von Übergangsriten umfassen. Wir möchten mit dieser Sektion Ansätze beleuchten, um dieses Themenfeld zu erforschen. Ziel ist es, Alter und Altern zu konzeptualisieren und zu historisieren.

Dazu möchten wir einladen, theoretische und fallbeispielbezogene Beiträge einzureichen und beizusteuern. Anknüpfungspunkte können z. B. sein:

Ansätze zur Nichtlinearität des Alterns
֎ Fragen zur Materialität des Alters und Alterns
֎ Archäologische Perspektiven auf Kindheit und Elternschaft in Bezug auf das Altern
֎ Fragen zu materiell-diskursiven Praktiken des Altwerdens
֎ Biografisch-materielle /Life-Course-Ansätze
֎ Fragen zu Übergängen, Brüchen und Transformationen von Lebenswegen
֎ Methodologische Annäherung an Erfahrungen des Alt- und Älterwerdens
֎ Materielle und körperliche Konstellationen, die den Prozess des Alterns konfigurieren
֎ Fragen zu Geschlechtern und Diversity in Bezug zum Älterwerden

Wir würden diese Debatte gerne gemeinsam führen und freuen uns über deutsch- oder englischsprachige Beiträge. Wir laden Wissenschaftler*innen ein, die sich auf verschiedenen Ebenen mit Alter und Altern beschäftigen. Besonders willkommen sind auch Beiträge von Jungwissenschaftler*innen. An die Vorträge von 20 Minuten Länge soll jeweils eine 10-minütige Diskussion anschließen. Unsere Session findet eintägig auf der WSVA-Tagung in Tübingen (25.–28.9.2023) statt. Der genaue Sitzungstag wird noch bekanntgegeben.


Bei Interesse bitten wir bis zum 31.05.2023 um einen Abstract mit Vortragstitel (ca. 250 Wörter) und Kurzbiographie an: tuebingen[at]agtida.de. Die Tagungsanmeldung und Entrichtung der Tagungsgebühr erfolgt eigenverantwortlich. Eine Aufwandsentschädigung zur anteiligen Deckung von Reise-, Tagungs- und Übernachtungskosten kann in begründeten Fällen auf vorher genehmigten Antrag gezahlt werden. Wir bitten diesen möglichst bereits zusammen mit dem Abstract einzureichen.


Wir freuen uns auf spannende Beiträge!
Organisation: Stefan Schreiber, Martin Renger, Tina Beck

Der Marburger Theorie-Lesezirkel ist zurück

Der Marburger Theorie-Lesezirkel wird vom Marburg Center Antike Welt veranstaltet und durch Sabine Neumann organisiert. Er soll dazu dienen, gemeinsam Theorietexte zu diskutieren und uns untereinander über die Fächergrenzen hinweg noch mehr zu vernetzen. Eingeladen sind alle Interessierten von Studierenden über Angehörige des Mittelbaus bis zur Professor*innenschaft. Geplant sind Treffen immer am ersten Mittwoch des Monats vor der Ringvorlesung, die im Anschluss gemeinsam besucht werden kann.

Das erste Treffen am 07.12.2022 von 16 bis 18 Uhr findet in Präsenz im CNMS, Deutschhausstraße 12, Raum 00A27 statt. Es beschäftigt sich mit Theorien zu Affekten, ein Thema, welches zahlreiche Anknüpfungspunkte zu den Themen des MCAW wie Emotionen, Atmosphären, religiöses Empfinden, etc. bietet. Affektivität wird nicht im fühlenden Individuum verortet, sondern bildet sich als ein interpersonaler Prozess innerhalb sozialer Räume heraus. Somit nimmt es eine Art Zwischenstellung ein zwischen subjektiven Emotionen und räumlichen Atmosphären.

Als externer Gast ist Stefan Schreiber vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie geladen, der eine Einführung in das Thema geben und die Diskussion moderieren wird.

Zur Vorbereitung lesen wir einen Artikel von Jan Slaby, Rainer Mühlhoff und Philipp Wüschner: „Affektive Relationalität. Umrisse eines philosophischen Forschungsprogramms“, welcher sich Affekten aus einer philosophischen Perspektive nähert und Affektivität als grundlegende Triebkraft menschlichen Zusammenlebens versteht.

Bei Interesse senden Sie bitte eine knappe Email an sabine.neumann[at]uni-marburg.de.

Workshop «Konstruktiv, kritisch, kontrovers – Archäologische Denkwerkzeuge in aktuellen Diskussionen»

Swiss TAG und AG TidA laden ein zum World Café am  21.10.2022 über Zoom

[Programm zum downloaden]

[CfP zum downloaden]

Die Theoriediskussionen in den Archäologien wurden nicht nur disziplinär, sondern in der Schweiz und Deutschland trotz thematischer Berührungspunkte bislang auch weitgehend unabhängig voneinander geführt. Für diesen Oktober planen wir daher ein gemeinsames digitales Event, in dem wir die Theoriediskussionen der Archäologien zusammenführen möchten. Zu dieser offenen Diskussionsrunde mit dem Titel «Konstruktiv, kritisch, kontrovers – Archäologische Denkwerkzeuge in aktuellen Diskussionen» laden die Swiss TAG und die AG TidA nun ganz herzlich ein.

Für die offene Diskussionsrunde wird das Format des World Cafés gewählt, welches sich in der Vergangenheit im Rahmen der Workshops der AG TidA bereits erfolgreich etabliert hat. Dieses bietet Theorieinteressierten, unabhängig vom akademischen Level, einen lockeren Rahmen, um aktuelle Theoriediskussionen der Archäologien aufzugreifen und diese unter neuen Aspekten zu betrachten. Dieses Format fördert über den partizipatorischen und explorativen Zugang die Diversität unseres Denkens, unserer Begriffe und unserer Konzepte und bietet eine Diskussionsplattform, die die Vernetzung der AG TidA und der Swiss TAG vorantreibt.

Unter dem Titel «Konstruktiv, kritisch, kontrovers – Archäologische Denkwerkzeuge in aktuellen Diskussionen» stehen in diesem World Café die Themen «Verflechtung und Vernetzung», «Handlung», «Digitalität», «Gender» und «Atmosphären» im Vordergrund der Diskussionen. Zusätzlich laden wir die Teilnehmer*innen dazu ein, eigene Themen auf den Tisch zu bringen.

Workshop «Konstruktiv, kritisch, kontrovers – Archäologische Denkwerkzeuge in aktuellen Diskussionen» weiterlesen

Erschienen: „FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung“

Der Round Table des Forum Archäologie in Gesellschaft (FAiG), welcher 2019 in Würzburg stattfand, ist nun 2021 als Themenschwerpunkt in den Archäologischen Informationen erschienen. Prekariat und Selbstausbeutung prägen als zwei eng miteinander verwobene Strukturen den Arbeitsalltag der meisten Archäolog*innen. Das FAiG setzte sich daher mit diesem Thema auseinander und lud die Beitragenden ein, ihre Erfahrungen und Gedanken zu veröffentlichen. Folgende Beiträge könnt ihr im Early View nachlesen:

Doris Gutsmiedl-Schümann – Raimund Karl – Thomas Meier – Christiane Ochs – Sophie-Marie Rotermund – Stefan Schreiber, Prekariat und Selbstausbeutung zwischen einer Kultur des Jammerns und „Self-Empowerment“ – Einführung zur Diskussionsrunde des Forums Archäologie in der Gesellschaft (FAiG), Archäologische Informationen 44, 2021, Early View. [PDF]

Doris Gutsmiedl-Schümann, Prekariat und Selbstausbeutung: Eine kontinuierliche Entwicklung aus dem Studium heraus? Archäologische Informationen 44, 2021, Early View. [PDF]

Stefan Schreiber, Archäologie am Abgrund – Abgründe der Archäologie: Menschenregierungskünste zwischen Prekarisierung und Selbstausbeutung, Archäologische Informationen 44, 2021, Early View. [PDF]

Raimund Karl, (Selbst-?)Ausbeutung im akademischen Betrieb – Ein Erlebnisbericht, Archäologische Informationen 44, 2021, Early View. [PDF]

Christiane Ochs – Sophie-Marie Rotermund, I studied Archaeology – Now my life is in ruins? Archäologische Informationen 44, 2021, Early View. [PDF]

Stellungnahme der AG Theorien in der Archäologie e.V. (TidA) zu durchgeführten, verhinderten & geplanten Kürzungen Kleiner Fächer im Universitätsbetrieb

04. August 2021

Gerade in den letzten Jahren nach der Weltwirtschaftskrise zeigte sich, dass die Schließungen und Nicht-Besetzungen von Professuren Kleiner Fächer leider kein Einzelfall sind. So wurde in Sachsen an der Universität Leipzig trotz weltweitem Protest die Professur für Klassische Archäologie eingespart und das gleichnamige Institut in eine Lehreinheit des Historischen Seminars umgewandelt. Zudem wurden erst jüngst die Pläne zur drohenden Schließung bzw. zum sukzessiven Abbau von Professuren, Abteilungen und Instituten in Halle diskutiert, welche ebenfalls von erheblichen Protesten seitens der Öffentlichkeit und unseren Fachvertreter*innen begleitet worden sind. Mit großer Sorge beobachten wir diese Entwicklungen und möchten uns an dieser Stelle daher nachdrücklich gegen die Kürzungen von altertumswissenschaftlichen sowie archäologischen Professuren und deren Institutionen in Deutschland aussprechen.

Die Professuren- und Standortzahlen der Kleinen Fächer sind im Zeitraum zwischen 1997 und 2020 stabil geblieben bzw. sogar gewachsen, wobei in den einzelnen Fächergruppen durchaus unterschiedliche Trends zu erkennen sind. Dies ergab die flächendeckende Datenerhebung der Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer aus dem Jahre 2020, welche bundesweit 157 kartierte Kleine Fächer in die Analyse einbezogen hatte. Dabei sind in dieser Auflistung gerade neu entstandene Disziplinen, wie beispielsweise die Archäoinformatik (Köln), noch nicht inbegriffen.

Einen wichtigen Teil der Kleinen Fächer stellen die Altertumswissenschaften dar. Gerade sie bauen die so wichtige Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Solche Brücken tragen erst dazu bei, dass wir ein (kritisches) Bewusstsein unserer eigenen Position und unserer Verantwortung in der Welt schaffen und reflektierte sowie überlegte Handlungsoptionen und -orientierungen aus einer Langzeitperspektive her entwickeln können. Auf ein verdeutlichendes Exempel sei hier kurz hingewiesen, wenn die Archäologie beispielsweise ihre verantwortungsvolle Beratungsfunktion für die (internationale) Politik (Deutschlands) übernimmt.

Innerhalb Deutschlands tragen die altertumswissenschaftlichen Fächer mit ihren vielen Teildisziplinen, die sich durch unterschiedliches Quellenmaterial und ihr jeweiliges Herangehen an die Vergangenheit unterscheiden, zu einer erfolgreichen Positionierung und Entwicklung der Hochschul-, Forschungs- und Wissenschaftslandschaft bei. Die Diversität befördert geradezu einen vielschichtigen Diskurs über die Vergangenheit und damit auch Gegenwart und Zukunft.

Hinzu kommt eine regionale Wissenschaftsdiversität, welche die einzelnen Teildisziplinen positiv kennzeichnet: Die archäologischen Standorte in Deutschland bieten verschieden ausgerichtete Professuren und dementsprechend eine Vielzahl von Studiencurricula an. Nur durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven wird der Diskurs und die Wissensvielfalt gefördert, um so wiederum verschiedenartige Erkenntnisse synergetisch erzeugen zu können. Wir sind davon überzeugt, dass disziplinäre Pluralität zu einer höheren Akzeptanz von unterschiedlichen, jedoch nachvollziehbaren, -prüfbaren, konsistenten und hinterfragbaren Wegen zu Wissen und zu Erkenntnissen führt, was letztlich für uns auch eine Form von Wissenschaftsfreiheit bedeutet. Fundierter, kreativer, kritischer und wissenschaftlicher Streit und damit Austausch, Aushandlung, (Selbst-)Reflexion und Einschätzung sind nur möglich, wenn es eine Vielzahl von Stimmen und Meinungen gibt, die auch bewertbar und kontextualisierbar bleiben.

Durch den Abbau und die finanzielle Unterversorgung der Institute werden jedoch der bisher positiven Entwicklung wieder immense Einbußen abverlangt. Das ist umso bedauernswerter, da die altertumswissenschaftlichen Forschungen führungsweisend zu ausschlaggebenden Forschungsrichtungen innerhalb inter- und transdisziplinärer Forschungsverbünde beitragen, wie im Falle von Klimaforschungen oder globalgesellschaftlichen Themen (z. B. Rassismus, ethnisch-kulturelle Vielfalt, (Un)Gleichheit, Krisensituationen, Pandemien und Resilienz).

Eine Gesellschaft, die also nicht auf Diversität– speziell auf disziplinäre Diversität – setzt, welche v. a. die Kleinen Fächer einschließt und deren Mannigfaltigkeit fördert, ist folglich eine „amputierte“ Gesellschaft, die sich in Krisensituationen schlecht behaupten kann. Diversität wird als eine der Schlüsselqualitäten von resilienten Strukturen angesehen. Langfristig führt also der Abbau zu einer Marginalisierung und Abwertung des Wissenschaftsstandortes Deutschland vor allem auf dem internationalen Wissenschafts- und Forschungsplateau. Zudem wird durch die Kürzungen nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die personelle Diversität in Deutschland reduziert, die bisher als Vorteil und Stärke wahrgenommen zu einem sehr guten Abschneiden im internationalen Vergleich führte – z. B. bei der Einwerbung von EU Geldern.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Bedeutung der Kleinen Fächer erkannt und fördert seit Jahren den Erhalt und Ausbau mit beträchtlichen finanziellen Mitteln (siehe Käte Hamburger Kollegs oder die diversen Förderprogramme „Kleine Fächer – große Potenziale“). Dies ist auch dringend notwendig, denn gerade die Altertumswissenschaften haben eine große Stärke und internationale Sichtbarkeit mindestens seit dem 19. Jahrhundert erarbeitet, die mit dazu führten, dass Deutschland zu einem weltweit anerkannten Wissenschaftsstandort geworden ist. Nun handeln aber die Universitäten und einzelnen Bundesländer mit den Kürzungen konträr zur Linie des Bundesministeriums, was sehr bedauerlich ist und zu Spannungen innerhalb der deutschen Wissenschafts-, Hochschul- und Forschungslandschaft führt.

Befeuert durch weitere unglückliche Bestimmungen, wie beispielsweise das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, führt diese Zuspitzung zu einer Abwanderung qualifizierter Wissenschaftler*innen aus Deutschland ins Ausland. Diese Tendenz muss baldmöglichst gestoppt werden, um einer Ausdünnung exzellenter Forschung in Deutschland entgegenzuwirken. Vielmehr besteht eine gesellschaftliche Notwendigkeit, reflektierende Kleine Fächer wie die Archäologie und altertumswissenschaftliche Fächer zu fördern und weiter auszubauen, anstatt zu kürzen!

Gez.
Vorstand und Beirat der AG Theorien in der Archäologie e.V. (TidA)

Zitiervorschlag: AG Theorien in der Archäologie (TidA), Stellungnahme der AG Theorien in der Archäologie e.V. (TidA) zu durchgeführten, verhinderten & geplanten Kürzungen Kleiner Fächer im Universitätsbetrieb. DOI: 10.5281/zenodo.5156004.

Stellungnahme als pdf zum Downloaden

Offener Brief des Vereins AG Theorien in der Archäologie (TidA) zum Thema #IchBinHanna

22. Juli 2021

An die Verbände und Vereine, die sich als archäologische Berufs- oder Interessen-vertretungen verstehen,

insbesondere den Deutschen Verband für Archäologie (DVA), den Deutschen Archäologen-Verband (DArV), die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF) sowie das Chartered Institute for Archaeologists Deutschland (CifA D).


Seit dem 10. Juni 2021 machen unter dem Hashtag #IchbinHanna in einer beispiellosen Grassroots-Initiative tausende Wissenschaftler*innen ihrer Wut und Verzweiflung, aber auch ihrer Hoffnung Luft. Grund ist das unverhältnismäßige und in vielen Punkten kontraproduktive Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Ausgelöst wurde diese öffentliche Empörung durch ein Video auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), in welchem die fiktive, namensgebende Doktorandin Hanna erklärt, weshalb sie das WissZeitVG für besonders gut hält, weil durch die wissenschaftliche Zirkulation das Universitätssystem nicht „verstopft“ und so eine gesteigerte „Innovation“ erreicht würde.

Das WissZeitVG und die damit zusammenhängende Befristungspraxis bei steigenden Studierenden- und Promovierendenzahlen stellen für das gesamte akademische System eine nicht tragbare Situation dar, die das Prekariat zum Standard erhebt. Bereits im Vorfeld von #IchBinHanna wurde lange über das WissZeitVG kontrovers diskutiert. So sprach sich die Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands im September 2019 in der Bayreuther Erklärung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen mit wissenschaftlichem und künstlerischem Personal in Universitäten für das WissZeitVG und die sich dadurch verschärfende Prekarisierung aus. Auch hieran wurde intensiv Kritik geübt, z. B. durch die Aktion #95vsWissZeitVG (95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz) im Herbst 2020.

Zahlreiche Archäolog*innen sind ebenfalls betroffen, solidarisieren sich und haben sich explizit zu Wort gemeldet. Die Beiträge reichen von Studierenden und (Post-) Doktorand*innen, dem sogenannten Nachwuchs und dem akademischen Mittelbau, Berufsaussteiger*innen bis hin zu einzelnen Professor*innen. Während sich Verbände anderer Disziplinen bereits positioniert und direkt an das BMBF bzw. die Bundesministerin gewandt haben (z. B. die Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien [DGfA], der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. [VHD] und die Deutsche Gesellschaft für Soziologie [DGS]), haben sich die archäologischen Berufs- sowie Interessenvereine und -verbände bislang nicht positioniert.

Wir appellieren daher an alle archäologischen Berufs- und Interessenvereine sowie -verbände, Stellung zu beziehen zu dieser auch für die archäologische Forschungslandschaft kurz- mittel-, und langfristig untragbaren Situation und Ihre Stimme in die Politik zu tragen.

Erwartungsvoll,

Ihre AG Theorien in der Archäologie (TidA)


Zitiervorschlag: AG Theorien in der Archäologie (TidA), Offener Brief der AG Theorien in der Archäologie (TidA) zum Thema #IchBinHanna. DOI: 10.5281/zenodo.5121345.

Offener Brief als pdf zum Downloaden

CFP für Workshop „Materialities of Challenges – Challenges of Materialities“; 3.-4. November 2020

Vom 3.-4. November 2020 wird ein Online-Workshop zum Thema „Materialities of Challenges –Challenges of Materialities. Understanding the materialities of threats, scarcity, surplus and coping in premodern communities“ stattfinden. Organisiert wird er durch den Profilbereich „40.000 Years of Human Challenges“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

CFP für Workshop „Materialities of Challenges – Challenges of Materialities“; 3.-4. November 2020 weiterlesen