81. Verbandstagung WSVA Friedrichshafen

Kulturerbe = Kulturpflicht?  Theoretische Reflexionen zum Umgang mit archäologischen Orten in Deutschland.

Sektion der AG Theorien in der Archäologie und des Forums Archäologie in Gesellschaft bei der 81. Verbandstagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Friedrichshafen

Programm

Dienstag, den 29.5.2012

10:30  Einführung (Kerstin P. Hofmann)
11:00  Marianne Pollak (Wien), Wo (k)ein Wille, da (k)ein Weg. Denkmalpflege zwischen kulturellem Gedächtnis und politischer Willensbildung
11:30  Susanne Grunwald (Leipzig), Ein Fundplatz als nationale Gedenkstätte – Der Turm von Zantoch (1934–1945)
12:00  Diskussion
12:30  Mittag
14:00  Matthias Maluck (Schleswig), Danewerk und Haithabu: Inszenierung von Legitimation – Wandel von Denkmalen
14:30  Ulrich Müller (Kiel) & Ulf Ickerodt (Schleswig), Meine Geschichte, deine Geschichte oder unsere Geschichte – oder: Wer ein Monster erschafft, ist auch für die Konsequenzen verantwortlich!
15:00 Diskussion
15:30  Kaffeepause
16:00  Sebastian Sommer (München), Von Kaiser Wilhelm bis zum Welterbe – Deutung und Präsentation des Obergermanisch-Raetischen Limes
16:30  Uta K. Mense (Cottbus), Unbequemes Erbe „Drittes Reich“ am Beispiel des Flächendenkmals der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde, Usedom
17:00  Diskussion

Mittwoch, den 30.5.2012

9:30  Stefanie Samida (Berlin), Heritagefication: Kulturerbe zwischen ‚Sakralisierung‘ und ‚Eventisierung‘
10:00  Kaffeepause
10:30  Kerstin P. Hofmann (Berlin), Der Grabhügel und Bildstein von Anderlingen: Ein Referenzpunkt für die Konstitution von regionalen Identitäten
11:00  Thomas Meier (Heidelberg), „Erbe“ und „kommende Generationen“. Die Transzendenzmetaphern des Denkmalpflegediskurses
11:30  Abschlussdiskussion

Abstracts

Dienstag, den 29.5.2012

 

10:30 Einführung (Kerstin P. Hofmann)
11:00 Marianne Pollak (Wien), Wo (k)ein Wille, da (k)ein Weg. Denkmalpflege zwischen kulturellem Gedächtnis und politischer Willensbildung

Obwohl es sich bei der archäologischen Denkmalforschung und –pflege um eine vielschichtige und komplexe Form außeruniversitärer Grundlagenforschung handelt, ist ihre Entwicklungsgeschichte fast unbekannt. Dies bedeutet in der öffentlichen Diskussion gegenüber Bau- und Kunstdenkmalpflege einen Nachteil, da diese mit Berufung auf ihre rund hundertjährige Theoriendiskussion ihre Forderungen untermauern kann. Von Beginn an war die Durchsetzung denkmalpflegerischer Zielsetzungen von der Bedeutung des Denkmals im kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft abhängig. Daneben spielte der politische Wille der Eliten eine grundlegende Rolle. Dies zeigt sich besonders deutlich an der frühen Denkmalpflege in der Habsburgermonarchie. Die Vielfalt ethnischer Gruppen im riesigen Reich verhinderte die Entwicklung vom Mythos einer gemeinsamen Geschichte und Kultur. Vaterland und Nation wurden daher anders definiert als im Rest Europas. Als Vaterland galt das einzelne Land mit gleicher Regierungsform und Kultur, unabhängig von der Sprachzugehörigkeit seiner Bewohner. Unter Nation verstand man die Gesamtheit aller Länder unter habsburgischer Herrschaft .Trotz des ausgeprägten Zentralismus blieben kulturelle Agenden Landessache. Die fortschrittlichste Entwicklung nahmen die Küstenlande mit dem Erbe der klassischen Antike, Böhmen, Schlesien und Ungarn, während das heutige Österreich in Altertumsforschung und Denkmalschutz hinter dem europäischen Standard zurückblieb. Der Sprachnationalismus des 19. Jhs. ließ die einzelnen Völker das regionale archäologische Erbe rasch als Teil der eigenen Vergangenheit wahrnehmen, so dass Ungarn 1881 sogar ein eigenes Denkmalschutzgesetz erließ. Seit der Gründung der Zentralkommission für Baudenkmale 1850 war neben der Entwicklung weitsichtiger und modern anmutender Konzepte die Formulierung von Schutzbestimmungen eines der Hauptthemen. Adel und Kirche setzten sich jedoch erfolgreich gegen mögliche Einschränkungen zur Wehr. Das erste Denkmalschutzgesetz aus 1923 war eine Leistung der jungen Republik. Das Gesetz bildet ein Konglomerat von ministeriellen Verordnungen des 19. Jhs. und Gesetzentwürfen aus der Zeit der Monarchie. Es ist in seinen Grundzügen bis heute gültig. Die durch wirtschaftliche Probleme gekennzeichneten beiden Jahrzehnte zwischen dem Ende der Monarchie und dem Anschluss an das Deutsche Reich waren nicht geeignet, eine eigenständige und selbstbewusste österreichische Denkmalpflege zu entwickeln. Erst in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich die Auffassung, dass Österreich eine Staatsnation ist. In den letzten beiden Jahrzehnten konnte sich dank des allgemeinen Interesses an Archäologie und der kontinuierlichen Vermittlungsarbeit von DenkmalpflegerInnen und KollegInnen an Museen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen ein Bewusstsein für die Bedeutung des archäologischen Erbes entwickeln. Zuletzt haben auch die politischen Entscheidungsträger ihr Interesse entdeckt und fördern die Eintragungen der Feuchtbodensiedlungen (anerkannt im Juni 2011) sowie der Limesorte in die Welterbeliste der UNESCO.

11:30 Susanne Grunwald (Leipzig), Ein Fundplatz als nationale Gedenkstätte – Der Turm von Zantoch (1934–1945)

In diesem wissenschaftsgeschichtlichen Beitrag soll dargestellt werden, wie in den 1930er Jahren ein archäologischer Fundplatz zu einem Gedenkort der „Erben“ einer regionalen Vergangenheit entwickelt wurde. Am Beispiel des Turms von Zantoch/Warthe können darüber hinaus zeitgenössische Debatten um die Berechtigung und Realisierung von Rekonstruktionen und die Ästhetik der Rekonstruktion als didaktischem Mittel nachgezeichnet werden. 1934 untersuchte Wilhelm Unverzagt die Reste früh- und hochmittelalterlicher Befestigungsanlagen auf dem Schloßberg von Zantoch. Gemeinsam mit seinem regionalpolitischen Kooperationspartner entwickelte er bereits während der Ausgrabungen die Idee, Zantoch zu einer „nationalen Gedenkstätte“ auszubauen. Realisiert wurde dafür die Rekonstruktion des Turmes der ordenszeitlichen Bauphase, die zum beliebten Ausflugsziel und Minimuseum avancierte. Im Untergeschoß wurden als „unbekannte Ostkämpfer“ fünf mittelalterliche Skelette ausgestellt und im Besucherraum ermahnten weitere Ausgrabungsfunde und Schautafeln, „der Taten vergangener Geschlechter und des Ringens“ um die Ostmark zu gedenken. Da keine lokalen Erinnerungen an die Kämpfe um Zantoch existierten, wurden die archäologischen Funde im Ausstellungsraum zu Zeugnissen vergangener identitätsstiftender Ereignisse und die Skelette sowohl zu den Zeugen einstiger Auseinandersetzungen vor Ort als auch zu den Ahnen der Besucher erklärt. Unverzagts Präsentationen der Zantocher Forschungen fügten sich damit ideal in die kulturpolitischen und ideologischen nationalsozialistischen Vergangenheitskonstruktionen ein und wurden genauso ideal rezipiert. Es muss diskutiert werden, in wieweit das Beispiel Zantoch Vorbildfunktion für das archäologische site management in Deutschland hatte.

12:00 Diskussion
12:30 Mittag
14:00 Matthias Maluck (Schleswig), Danewerk und Haithabu: Inszenierung von Legitimation – Wandel von Denkmalen

Im Jahr 1282 ließ der dänische König Waldemar der Große an seinem Grab eine Bleitafel anbringen, die das damals bereits mindestens 500 Jahre alte Danewerk zum Bollwerk für das ganze dänische Reich erklärt. Er macht damit eine Tradition der Inszenierung und Instrumentalisierung des Bauwerks erstmals historisch fassbar, die bis zum heutigen Tag fortdauert. Im 19. Jahrhundert erfährt diese Deutung eine inhaltliche Erweiterung. Das Danewerk wird diesmal zum Symbol des neuerfundenen Dänentums und so zu einem Schlüsselort der nationalen Identitätsfindung instrumentalisiert. Um 1897 identifizierte der dänische Archäologe Sophus Müller die wikingerzeitliche Handelssiedlung Haithabu unmittelbar am Danewerk. Spätestens mit den Ausgrabungen Herbert Jankuhns unter der Ägide des SS-Ahnenerbes in den 1930 Jahren wurde dann Haithabu zum Symbolort deutsch-völkischer-nationalistischer Utopien. Die unterschiedlichen Versuche beide Denkmale zu Zwecken der nationalen Identitätsfindung und Abgrenzung sowie der Legitimation von Herrschaft zu usurpieren, setzten sich nach dem Krieg fort und sind bis heute Grundlage für die unterschiedliche Wahrnehmung der beiden Denkmale u. a. durch Deutsche und Dänen. Zurzeit wird ein Antrag von Haithabu und dem Danewerk für die Aufnahme auf die UNESCO-Welterbeliste vorbereitet. Dabei wird in enger Zusammenarbeit mit der lokalen deutschen und dänischen Bevölkerung die Bedeutung der Denkmale im örtlichen und überregionalen Bewusstsein erneut verändert. Neue Lesarten, wie z. B. die der Überwindung der nationalen Abgrenzungsversuche entstehen. Der Vortrag skizziert die Entwicklung divergierender Bemühungen zur Instrumentalisierung von historischen Orten anhand von Haithabu und dem Danewerk durch die Jahrhunderte bis heute. Er diskutiert, in welcher Form die archäologische Denkmalpflege Bauwerke und Stätten interpretiert, Denkmale konstruiert und sie bewusst zur Legitimation der eigenen Arbeit nutzt. Welche Rolle spielen dabei neue Mythologisierungen im Sinne der erfundenen Tradition Eric Hobsbawms? Und welche Verantwortung resultiert hieraus für die wissenschaftsbasierte denkmalpflegerische Arbeit? Schließlich wird auch der Wandel der Denkmalverständnisse aufgezeigt, wie er insbesondere durch Einflüsse aus den international geführten Diskussionen im Umfeld der UNESCO oder des Europarates gefördert wird.

14:30 Ulrich Müller (Kiel) & Ulf Ickerodt (Schleswig), Meine Geschichte, deine Geschichte oder unsere Geschichte – oder: Wer ein Monster erschafft, ist auch für die Konsequenzen verantwortlich!

In den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten hat das heute neutral als Geschichtsquelle betrachtete und als archäologisches Erbe bezeichnete Kulturgut eine starke inhaltliche Umdeutung erfahren, die vom Monument der Vergänglichkeit über Erinnerungsorte, von den vaterländischen Altertümern bis hin zur Wahrnehmung als Kultstätte der Gegenwart reicht. Dabei treffen zahlreiche, z. T. sehr unterschiedliche und diametral ausgerichtete Interessen auf einander. Während die Aufgabe der staatlichen Denkmalpflege einigermaßen klar und offensichtlich erscheint, wird dieser hoheitliche Anspruch von anderer Seite aus relativiert oder sogar in Zweifel gezogen. Auch erzeugt der Blick auf die jüngere und jüngste Geschichte hinsichtlich des Missbrauchs der Archäologie in den faschistischen oder marxistischen Diktaturen zu Recht ein beträchtliches Unbehagen. Frei nach dem Konzept von Mary Shelley, der „Mutter“ von Frankensteins Monster, ist hier die Frage nach der daraus resultierenden Verantwortung sowie nach den sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu stellen. Im ersten Teil wird die wikingerzeitliche Sakrallandschaft Haithabu und deren heutige Relikte aufgegriffen. Diese setzt sich neben dem denkmalpflegerischen-wissenschaftlichen Blick primär aus den verschiedenen christlichen Blickweisen zusammen. Dem gegenüber steht ein seit den 1980er Jahr aufkommender, schwer zu fassender Blick auf den Ursprungsort der Wikingermission. Er kann im Bereich einer esoterisch-neuheidnisch-paganen Strömung verortet werden, die nach Selbstbefreiung strebt. Der slawische Zentralplatz von Starigard/Oldenburg im östlichen Holstein steht im Fokus des zweiten Teils. Ob als obodritischer Herrschaftssitz mit einer europaweit vernetzten Elite oder als paganer Kultplatz und Bischofssitz (972) sowie als ein Zentrum der „heidnischen Reaktion“ der Zeit um 1000 bündeln sich in seiner wissenschaftlichen Erforschung wie öffentlichen Wahrnehmung viele Aspekte. Nachgegangen werden soll dabei den historischen wie rezenten Diskursen im Rahmen der „Slawenbilder“, aber auch den (kultur)-politischen Fragen nach einer „Inwertsetzbarkeit“ der paganen wie christlichen Zeugnisse im 21. Jh.

15:00 Diskussion
15:30 Kaffeepause
16:00 Sebastian Sommer (München), Von Kaiser Wilhelm bis zum Welterbe – Deutung und Präsentation des Obergermanisch-Raetischen Limes

Vermutlich schon bald nach dem Verlassen des Limes durch die Römer setzte eine Diskussion um die Deutung der sich über 550 km zwischen Rhein und Donau dahin ziehenden Reste der römischen „Grenze“ in Deutschland ein. Dabei spielten – wie wir heute mit dem Blick zurück erkennen können – meist die politische „Großwetterlage“ und der Zeitgeist keine unbedeutende Rolle. Mehr oder weniger ausgehend vom archäologischen Befund und seiner wissenschaftlichen Bear­beitung und Vorlage manifestieren sich seit über 100 Jahren in „Rekonstruktionen“, „1:1 Modellen“ bzw. „Nachbauten“ Gedanken und Überlegungen zur Funktion und vor allem zum Aussehen der heute regelmäßig nur noch in Grundrissen erhaltenen Anlagen. Nicht zuletzt durch regelmäßiges Abbilden in populären Schriften und Sendungen wie der Fachliteratur zum Limes prägen sie ganz wesentlich unsere Vorstellungen. Durch das strukturierte Welterbemanagement wurde aber auch deutlich, dass heute Limesdeutungen von den verschiedensten Seiten, auch von Laien ohne Einbindung in eine fachliche Debatte, angeboten werden. Dies wird nicht zuletzt durch die Hoffnung, Touristen und damit finanzielle Mittel in die Region zu bringen, begünstigt. Zu fragen ist, ob dies für die mittelfristige Denkmalbetreuung und -erhaltung schädlich oder von Vorteil ist, z.B. wegen eines auch vor Ort verankerten Interesses.

16:30 Uta K. Mense (Cottbus), Unbequemes Erbe „Drittes Reich“ am Beispiel des Flächendenkmals der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde, Usedom

Die ehemalige Heeresversuchsanstalt Peenemünde gilt weltweit als Entwicklungsort der Raketentechnologie – gleichzeitig ist es der Ort, wo die Vergeltungswaffen der Nazis geschaffen wurden. Dieser polarisierende Spannungsbogen stellt die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern seit der Wiedervereinigung Deutschlands vor die schwierige Herausforderung, wie mit diesem unbequemen Ort umzugehen ist. Konzepte für eine Musealisierung wurden entwickelt und wieder verworfen; das politisch korrekte Narrativ wurde gesucht. Der mit Mythen belegte Ort zieht bis heute seine Besucher an und das offizielle Museum zählt jährlich um die 200.000 Besucher. Der Ort des Geschehens blieb dennoch unbekannt? Er ist bis 2010 gänzlich unerforscht und dem Besucher unvermittelt geblieben. Im Auftrag des Historisch-Technischen Museums Peenemünde wurde der Zustand des 25 km² großen Geländes seit der Übergabe durch die Bundeswehr im Jahr 1991 erstmals 20 Jahre später durch ein Projektteam des Lehrstuhls Denkmalpflege der BTU Cottbus flächendeckend ermittelt und bewertet. Durch das bisherige Desinteresse von öffentlicher Seite ist das Areal zwar durch Raubgrabungen in Mitleidenschaft gezogen? in seiner ruinösen Gesamtheit stellt es sich jedoch nach wie vor in seiner Authentizität und Integrität als aussagekräftiges Flächendenkmal dar. Aber obwohl es sich hier um eine fast 70 Jahre alte geschichtsträchtige Kulturlandschaft handelt, ist die aktuelle Politik des Landes nur zu Teilen um dessen Erhalt bemüht. Im Rahmen dieses Vortrages soll das Spannungsfeld zwischen Denkmalpflege und politischen Interessen im Umgang mit unserem unbequemen Erbe näher beleuchtet werden.

17:00 Diskussion

Mittwoch, den 30.5.2012

9:30 Stefanie Samida (Berlin), Heritagefication: Kulturerbe zwischen ‚Sakralisierung‘ und ‚Eventisierung‘

In den letzten Jahren haben die kulturwissenschaftlichen Fächer eine regelrechte ‚Wende‘–‐Zeit erlebt. Neben dem ‚linguistic turn‘ gab es – zum Teil nacheinander, zum Teil aber auch zeitgleich – den ‚cultural turn‘, den ‚iconic turn‘, den ‚spatial turn‘, den ‚performative turn‘ und viele andere mehr. Führt man sich die in den letzten Jahren erschienenen Veröffentlichungen zum Thema ‚Heritage‘ sowie die in letzter Zeit dazu veranstalteten Tagungen vor Augen (z. B. „Archaeological Heritage“, Heidelberg 2010; „Europäisches Kulturerbe. Bilder – Traditionen – Konfigurationen“, Kassel 2010), so wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis ein ‚heritage turn‘ ausgerufen wird. Wenn es um Fragen des Kulturellen Erbes geht, sind neben der Volkskunde/Europäischen Ethnologie und der Ethnologie besonders die Denkmalpflege und die Archäologie gefragt, schließlich werden zahlreiche materielle Relikte der Vergangenheit und archäologische Stätten mit dem Prädikat ‚Kulturerbe‘ ausgezeichnet. Dieses Kulturelle Erbe gilt es dabei in aller Regel zu bewahren. Das trifft wiederum ganz besonders dann zu, wenn es sich um archäologische Denkmale und Stätten handelt. Als einmalige Zeugen der Kulturgeschichte bilden sie darüber hinaus nicht selten attraktive Ausflugs- und Urlaubsziele für Jedermann. In dem geplanten Vortrag soll dem wechselseitigen Prozess von Herstellen, Deuten und Nutzen des kulturellen Erbes (Heritagefication bzw. Heritagefizierung) nachgegangen werden. Im Zentrum steht die Aneignung der archäologischen ‚heritage sites‘ als sakraler Raum einerseits sowie andererseits als ‚Erlebniswelt‘, in der das kulturelle Erbe nur noch als Kulisse für Erlebnisse dient. Immer h&¨ufiger, so meine These, wird der kulturelle Wert der ‚heritage sites‘ dabei auf ein Maß von Themen- und Freizeitparks nivelliert.

10:00 Kaffeepause
10:30 Kerstin P. Hofmann (Berlin), Der Grabhügel und Bildstein von Anderlingen: Ein Referenzpunkt für die Konstitution von regionalen Identitäten

Die öffentliche Diskussion um archäologisches Kulturerbe wird vor allem durch Weltkulturerbestätten und Fundplätze, welche für überregionale Identitätendiskurse besonders relevant sind, geprägt. Hieran ändert auch nichts die Tatsache, dass in Deutschland die archäologische Denkmalpflege u. a. durch den Föderalismus eher regional organisiert ist. Im Zentrum dieses Vortrags soll hingegen ein vergleichsweise unbekannter Fundort stehen: der 1906/07 entdeckte Grabhügel mit Bildstein von Anderlingen in Niedersachsen. Es soll gezeigt werden, dass viele auf weltberühmten, politisch aufgeladenen sog. Kulturerbeplätzen zu beobachtende Phänomene auch in wesentlich kleineren Kontexten eine Rolle spielen. Zu nennen sind hier u. a. die Problematik der touristischen Nutzung von archäologischen Fundstätten, Fragen der Authentizität und Rekonstruktion, Diskussion um den Fundverbleib oder das Spiel mit Superlativen. Wesentlich interessanter ist vielleicht jedoch die Frage nach der Bedeutung des Fundplatzes für die regionale Bevölkerung. Der Grabhügel und insbesondere der Bildstein von Anderlingen dienten und dienen nämlich den verschiedensten Personen und Gruppen der Identifikation, z. B. dem Finder und seiner Familie, der Gemeinde mit ihrem Kulturverein und Stone-Dancer-Club, dem Bachmann-Museum und dem Nordwestdeutschen Verband, aber auch politische Interessen – nationale und/oder europäische – spielen eine Rolle. Selbst archäologische Fundplätze eher lokaler Bedeutung, wie Anderlingen, können Fokus, Ausdruck und Motor kollektiver Identitätenkonstituierungen sein.

11:00 Thomas Meier (Heidelberg), „Erbe“ und „kommende Generationen“. Die Transzendenzmetaphern des Denkmalpflegediskurses

Das Bürgerliche Gesetzbuch §984 führt herrenloses Gut und damit auch archäologische Objekte – so sie nicht in Besitzkontinuität weitergegeben wurden – als „Sachen“. Diesem vergleichsweise neutralen Begriff steht die Bezeichnung als „Kulturgut“ und vor allem als „kulturelles Erbe“ gegenüber, die außerhalb deutscher Rechtstexte in der Literatur, aber auch in internationalen Konventionen üblich ist. Abgesehen vom opalisierenden Begriff der „Kultur“, der hier nicht weiter thematisiert werden soll, führt der Begriff „Erbe“ zu einer hochgradigen Emotionalisierung und Moralisierung, welche durch den häufigen Verweis auf „kommende Generationen“ noch gesteigert werden. Dabei assoziiert der Erbe-Begriff nicht nur Altes und Wertvolles, sondern zugleich eine moralische Verpflichtung, das Überkommene zu sichern, vielleicht sogar zu mehren, um es an die eigenen Erben, eben die „künftigen Generationen“, weiterzugeben. Aus dem kulturellen Erbe wächst so eine kulturelle Pflicht, die denkmalpflegerisch handlungsleitend ist. Zugleich konstituiert die Reihe „Erbe – Heute – künftige Generationen“ ein Narrativ von Kontinuität nicht nur der Objekte, sondern auch der mit ihnen verbundenen Bedeutungs- und Wertzuschreibungen und schließt an Metaphern an wie die „Wurzeln“, die in der Vergangenheit lägen, oder den cogitus interruptus, dass nicht wisse, wohin er gehe, wer nicht wisse, woher er komme. Die Gegenwart wird hier zur pfadabhängigen Funktion einer übermächtigen Vergangenheit, welche das Heute vollständig den scheinbar unhinterfragbaren Verpflichtungen dieser Vergangenheit sowie gegenüber einer kontinuierlich gedachten Zukunft unterwirft. Vorderhand legitimieren die Metaphern „Erbe“ und „kommende Generationen“ also den denkmalpflegerischen Schutzanspruch; zugleich begründen sie als Kollektivsymboliken Regelwerke des Sag- und Handelbaren im Heute und wirken mithin als Machtinstrumente im Denkmalpflegediskurs. Nicht zu übersehen ist nämlich, dass die moralische Aufladung der Vergangenheit als „Erbe“ und der Verpflichtung zur Weitergabe vor allem den Interessen einer Diskursgruppe nutzt: Archäologen und Denkmalpfleger verfügen über einen akademisch privilegierten Zugang zum verborgenen Wissen um diese Vergangenheit, und sie erfüllen ihre Mission, diese Vergangenheit zu entschlüsseln und zu retten, unter erheblichen weltlichen (finanziellen wie körperlichen) Entbehrungen, oft auch noch angefeindet von übermächtigen Protagonisten einer geschichts- (und daher vermeintlich zukunfts)losen Gegenwart. Doch der Mythos vom kulturellen Erbe immunisiert sie nicht nur gegen diese Widrigkeiten, sondern die Wertkonstruktion der Vergangenheit zusammen mit der missionarischen Selbststilisierung erhöht sie vielmehr zu einer Priesterkaste des arkanen Wissens, zu den letzten homines religiosi, welche die alten Werte noch erkennen. Die Metaphern vom „Erbe“ und den „künftigen Generationen“ schaffen mithin ein diskursives Regelwerk, welches „handeln bestimmt und verfestigt und also auch schon macht ausübt und verfestigt“ (Jürgen Link), und zwar in diesem Fall zu Gunsten einer kleinen Gruppe arkaner Experten. Dass diese beiden Metaphern derart diskursmächtig wirken, dürfte vor allem in ihrer transzendenten Verweisstruktur begründet liegen. Denn weder das Konzept eines kulturellen, mit Eigenwert aufgeladenen Erbes noch die künftigen Generationen, die sich angeblich für dieses Erbe interessieren werden, sind aus den Sachen selbst oder einer Vergangenheit abzuleiten. Beide Metaphern projizieren vielmehr nicht-hinterfragbare und nicht-falsifizierbare Wertzuschreibungen auf Sachen, Vergangenheit und Zukunft und verweisen dann zugleich auf dieses zeitliche (zuweilen auch räumliche) Anderswo. Beide Metaphern lassen sich daher als Transzendenzkonstruktionen und -verweise charakterisieren und besitzen damit die Struktur religiöser Zeichen (Krzysztof Pomian), was zu ihrer besonderen legitimatorischen Wirksamkeit erheblich beitragen und ihre diskursive Ordnungsfunktion begründen dürfte.

11:30 Abschlussdiskussion

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