Stellungnahme zu einem Kommentar von Raimund Karl

Stellungnahme zu einem Kommentar von Raimund Karl
im Rundbrief der Arbeitsgemeinschaft
Theorie in der Archäologie
von Otto H. Urban
In Erinnerung an Kurt Tomaschitz,
einem viel zu früh von uns gegangenen wirklichen Kenner der frühen Kelten
Zu den Ausführungen soll nur kurz festgestellt werden, dass Karls eingangs geäußertes Grundprinzip „anything goes“ den Vorstellungen einer wissenschaftlichen Methode widerspricht. Wissenschaftliche Disziplinen, deren Hauptfragen und Methoden sind per se nicht sakrosankt (unberührbar), sondern entwickeln sich weiter  – Hand in Hand bzw. Zug um Zug. Seiner Sorge um die Zukunft kann ich mich daher nicht anschließen.1
Nun, nachdem sich Karl zu keiner Hauptfrage entschließen kann, sind seine Ausführungen zu Kulturrationsprozessen hinfällig – er stellt ja „alles“ in Frage. Eine Klassifizierung der Keltischen Archäologie wie der Ur- und Frühgeschichte oder der Alten Geschichte als idiographische Disziplin steht außer Zweifel; Karls Verweis auf „historische Naturgesetze“ spiegelt meines Erachtens eine veraltete „einseitige“ Weltsicht wider.
Archäologien sollten sich meines Erachtens in der Tat mit älteren (vergangenen)
Kulturen beschäftigen. Begriffe wie Neuzeitarchäologie oder Mittelalterarchäologie verwende ich nicht gerne – sie stellen eigentlich ein Paradoxon dar.

 

So ist für mich beispielsweise die Zahnbürste (oder der Füllhalter) von George Bernard Shaw tatsächliche keine Quelle der Keltischen Archäologie.2 Ich unterscheide zwischen Keltischer Archäologie, Keltologie bzw. Keltistik; Karl offensichtlich nicht.
Karl hat meine Bezeichnung „postkonstruktivistische Archäologie“ im Sinne „postmoderner konstruktivistischer Archäologie“ richtig verstanden (die Ausführungen haben also nicht zu Karls „Verwirrung“ beigetragen3). Ich kann ihm auch zustimmen, wenn er schreibt: „‚Keltizität‘ ist für Urban also nur dort bestimmbar, wo ein positiver Beweis geführt werden kann …“ und dies hat mit „radikalen Konstruktivismus nichts zu tun“ – daher wurde dieser Begriff auch nicht verwendet.
Im Unterschied von Karl, der offensichtlich nur eine, die Lehre, verkündet, nannte ich meinen Beitrag „Gedanken zu einer (sic!) Methode der Keltischen Archäologie“.4 Seine Ausführungen zu „der“ Methodik Urbans sind daher haltlos.
Die Gedanken zur Keltengenese sind kein Fallbeispiel der vorgeschlagenen Methode. Selbst Karl dürfte dieses geahnt haben, sonst hätte er doch nicht in diesem Zusammenhang ein „wohl“ eingefügt bzw. mit Recht Zweifel an seiner Annahme (die durch eine Email leicht zu verifizieren gewesen wäre) geäußert.5
Wenn Karl andere Vorstellungen zu den frühen Kelten hat, so möge er sie vertreten – meine These ist in sich kohärent und stimmig.
Wenn er den Herodot-Stellen wenig Glauben beimisst (die Überlieferungen von

Hekataios, Timagenes und Avienus übergeht er),6 kann ich nur feststellen, dass die Altertumsforscher wohl noch in ein- oder zweihundert Jahren von Herodot sprechen werden, jedoch kaum mehr von Urban oder Karl. Zuletzt, wenn Karl mich zitiert und schreibt: „‚Kelten‘, Träger der Latènekultur (ebd. 607)“ kann ich nur antworten, dass auf der angegebenen Seite 607 nicht einmal das Wort „Latènekultur“ aufscheint.7 Eine ernsthafte Diskussion dieser Ausführungen und seiner bereits mehrfach geäußerten Vorwürfe mir persönlich sowie der österreichischen Ur- und Frühgeschichtsforschung gegenüber können daher unterbleiben – offensichtlich versucht Karl durch diese Zeilen anderes aufzuarbeiten. Nachdem Karl weder die Rolle eines Gutachters noch Prüfers zukommt8 bleiben seine Schlüsse für die Forschung grosso modo irrelevant.

Zu den eigentlichen Themen – zu einer Methode der Keltischen Archäologie bzw. zur frühen Verwendung des Keltenbegriffs im antiken Schriftgut im 6. Jahrhundert v. Chr., zur Keltengenese bzw. Herausbildung keltischer Stämme im 5. und/oder 4. Jahrhundert v. Chr. konnte Karl nichts Neues beitragen – offensichtlich dienten diese Zeilen in erster Linie anderen Aufgaben. Ich möchte der Schriftleitung danken, dass sie Herrn Karl die Möglichkeit einer Katharsis und mir einer Stellungnahme dazu geboten haben.9

Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte
Universität Wien
Franz-Klein-Gasse 1
A-1190 Wien
otto.urban@univie.ac.at

 

1 „Mein Unbehagen liegt in dem Umstand begründet, dass wir heute nicht wissen können, welche Fragen in der Zukunft von Bedeutung sein werden …“ (Karl 2008, 34).
2 „Ähnlich problematisch ist die Beschränkung der keltischen Archäologie auf bestimmte Quellen …“. (Karl 2008, 35)
3 „Der von Urban [… verwendete] Begriff … trägt also eher zur Verwirrung als zur Klärung … bei.“ (Karl 2008, 37)

4   „Ein ebenso gravierendes Problem von Urbans Methode ist, dass sie mehr oder minder deutlich als die Methodik (als Gesamtheit der Methoden einer Wissenschaft zu verstehen) der keltischen Archäologie bezeichnet und nicht nur als eine von mehreren möglichen Methoden der keltischen Archäologie dargestellt wird.“ (Karl 2008, 39) Ein Satz, der trotz sprachlicher Unbeholfenheit, einen Vorwurf deutlich macht, den Karl an anderer Stelle klarer ausdrückt: „Dies erscheint mir jedoch eher als Versuch, der Forschung eine bestimmte, ideologisch bedingte, programmatische Richtung vorzuschreiben (…).“(ebd.). Nun heißt meine Arbeit aber „Gedanken zu einer Methode der Keltischen Archäologie und zu einem Modell der Keltengenese“. (Urban 2007, 595). Im Inhaltsverzeichnis findet sich dagegen noch irrtümlich der Vortragstitel „Überlegungen zur Methodik einer keltischen Archäologie“ (Birkhan 2007, VII). In beiden Fällen wird deutlich, dass es sich dabei nicht um „die Methode“ oder „Methodik“ schlechthin handelt, sondern um persönliche Gedanken bzw. Überlegungen dazu, wie sie wohl im Rahmen eines Symposions deutschsprachiger Keltologinnen und Keltologen geäußert werden dürfen. Auch das englische Abstract bestätigt diese Zielsetzung: „In my paper I try to give a framework of a method of Celtic Archaeology.“ (Urban 2007, 595).
5   „Wohl als Fallbeispiel für die Anwendung der vorgeschlagenen Methode folgt (…)“(Karl 2008, 39) und an anderer Stelle „Dies wirft die Frage auf, wie sein Modell mit der zuvor (…) vorgestellten Methodik zusammenpasst.“ (Karl 2008, 40). Nun mein gedruckter Beitrag umfasst zwei unabhängige Beiträge „Überlegungen zur Methodik einer Keltischen Archäologie“ (ursprünglicher Vortragstitel) und „Gedanken zu einem Modell der keltischen Ethnogenese“ (Untertitel Urban 2007, 604), die im Rahmen der Linzer Tagung in mehreren Gesprächen, unter anderem mit K. Tomaschitz, diskutiert wurden.
6   „Tatsächlich lassen sich aus den (…) Evidenzen – zwei kurze und äußerst unklare Stellen bei Herodot (…) – praktisch überhaupt keine Datierungen für irgendetwas ableiten:“ (Karl 2008, 42).
7   Auch seine weiteren Ausführungen und Vorwürfe bezüglich der siedlungsarchäologischen Methode Kossinnas oder zur späten Latènekultur sind völlig haltlos, sie finden sich weder wörtlich noch sinngemäß in einem meiner Beiträge. R. Karl (2008, 44) schreibt ohne näheren Seitenverweis: „(…), dass Urban letztlich in exakter Kopie der siedlungsarchäologischen Methode Kossinnas zuerst die späte Latènekultur anhand historischer Zeugnisse als materiellen Ausdrucks einer einheitlichen keltischen Ethnizität identifiziert hat (…)“. In dem Beitrag wird die „späte Latènekultur“ überhaupt nie erwähnt; ebenso von keiner „einheitlichen keltischen Ethnizität“ gesprochen. Hier dichtet sich Karl, wohl seiner persönlichen Devise „anything goes“ folgend, irgendetwas zusammen.
8   „Die These wurde überprüft …“ (Karl 2008, 43).

9    Herr Nils Mueller-Scheessel hat mich in einer Email vom 6. April 2008 auf den Beitrag von Raimund Karl aufmerksam gemacht und mir die Möglichkeit geboten „entweder im nächsten (Redaktionsschluss: 15. April) oder übernächsten Rundbrief (Redaktionsschluss: 15. Oktober) zur Kritik Karls Stellung zu nehmen“. Aufgrund dieser freundlichen Einladung habe ich am 18./19. Mai 2008 zu den Ausführungen von R. Karl Stellung genommen. Die wenigen Zeilen sind Kollegen Tomaschitz gewidmet, dessen Todesnachricht ich vor wenigen Stunden mit Erschütterung erhalten habe. Im Angesicht des Todes, conspectu mortis, verliert alles an Bedeutung, was nicht wirklich wichtig ist.