Prähistorie im Nationalsozialismus

Prähistorie im Nationalsozialismus: Ein Vergleich der Schriften von Herbert Jankuhn und Hans Reinerth zwischen 1933 und 19391

von Katharina Krall
Betrachtet man die Prähistorie im Nationalsozialismus, ergibt sich trotz umfangreicher Forschertätigkeit in den letzten Jahren immer noch ein sehr unterschiedliches Bild. Deutlich geworden ist jedoch, dass es kaum Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben hat, dass der Nationalsozialismus von der großen Mehrheit der Prähistoriker sogar begrüßt worden ist. Uta Halle wies in ihrer Habilitationsschrift »›Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch‹. Prähistorische Archäologie im Dritten Reich« (HALLE 2002a; DIES. 2002b) besonders deutlich nach, dass es fast nie Handlungs- oder Interpretationsvorgaben seitens der zuständigen Partei- oder Staatsstellen gab, sondern dass die Eigeninitiative der Prähistoriker eine sehr große Rolle spielte.

Die Prähistoriker kamen mit ihrer germanophilen Deutung von Funden dem Wunsch der Nationalsozialisten nach politischer Legitimation nach und während des Nationalsozialismus etablierte sich die Ur- und Frühgeschichte in der deutschen Forschungslandschaft.2 Es wird klar, dass eine Wechselwirkung zwischen Vor- und Frühgeschichte und dem Nationalsozialismus stattgefunden hat. Nach 1945 fand eine Aufarbeitung dieser Problematik lange Zeit nicht statt, weder im Fach selbst, noch unter Historikern, abgesehen von zwei Arbeiten aus den 1970er Jahren (BOLLMUS 1970; KATER 1974). Dies ist vor allem damit zu erklären, dass die Vorgeschichtsforscher den Hauptschuldigen für das Versagen ihres Faches direkt nach dem Krieg bereits ausgemacht und sich von ihm 1949 distanziert haben: Die in Regensburg versammelten süd- und westdeutschen Vorgeschichtsforscher, überzeugt von der Notwendigkeit, ihre Wissenschaft von allen unsachlichen und tendenziösen Einflüssen freizuhalten, erklären hiermit, daß sie sich in aller Form von einer Forschungseinrichtung distanzieren, wie sie vom ehemaligen Führer des Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte der NSDAP, Prof. Dr. Hans Reinerth, propagiert worden ist. Sie haben nichts gemein mit Bestrebungen, die den guten Namen ihrer Wissenschaft mißbraucht und das deutsche Ansehen im Auslande schwer geschädigt haben (SCHÖBEL 1996 / 97, 45). Hans Reinerth wurde damit von seinem Fach noch vor Beendigung des politischen Säuberungsverfahrens, das gegen ihn lief, zur Verantwortung gezogen (SCHÖBEL 2002, 322). Diese frühzeitige Distanzierung von Hans Reinerth und seinen Anhängern führte dazu, dass eine weitgehende Auseinandersetzung mit der Thematik lange Zeit nicht stattfand, da die Schuldigen bzw. der Hauptschuldige gefunden schienen. Außerdem etablierte sich die Meinung, dass Reinerth und das Amt Rosenberg für die Ausnutzung der Archäologie die Hauptverantwortung zu tragen hätten. Damit entstand der Eindruck, dass sich neben Reinerth nur wenige Prähistoriker wirklich zum Nationalsozialismus bekannten: nach außen hätten die Prähistoriker zwar Zustimmung zum Regime gezeigt, nach innen seien sie aber weiterhin unabhängig ihrer Arbeit nachgegangen (MAISCHBERGER 2002, 210). So wurden die Prähistoriker eher als Befehlsempfänger dargestellt, die durch Druck der nationalsozialistischen Machthaber zu ideologiefreundlichen Interpretationen ihrer Funde genötigt wurden. Damit wurde die Frage nach der Verantwortung an die Parteihierarchie abgeschoben (HALLE 2002, 32 f.). Das Ausmaß, in dem die Ur- und Frühgeschichte den Nationalsozialisten als Werkzeug diente und zum Funktionieren des Regimes beitrug, wurde zudem als relativ gering erachtet (HASSMANN 2000). In älteren Arbeiten wurde stets eine Unterscheidung zwischen den Prähistorikern in Himmlers Ahnenerbe und denen des Amtes Rosenberg unter Hans Reinerth vorgenommen, die ethisch und wissenschaftlich begründet wurde: Plakativ gesagt, wurde dem Amt Rosenberg und Reinerth Dilettantismus und eine brutale Vorgehensweise bescheinigt, während das Ahnenerbe der SS als eine Einrichtung darstellte wurde, in der Prähistoriker – geschützt vor Reinerth – doch relativ frei forschen konnten. Die Ergebnisse einiger Tagungen in den 1990er Jahren (WOLFRAM / SOMMER 1993; LEUBE 2002; STEUER 2001) und Arbeiten wie die von Uta HALLE zeigen hingegen, dass eine solche Unterscheidung der politischen Motivation zwischen Mitarbeitern des Ahnenerbes und des Amtes Rosenberg sehr fragwürdig ist und so nicht mehr auf rechterhalten werden kann (CALLMER 2002). Für beide Organisationen ist eine große Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem NS-Regime zu erkennen. Auch wird die angebliche Wissenschaftlichkeit des Ahnenerbes und dessen angebliche ›Harmlosigkeit‹ immer mehr in Frage gestellt.

Eigener Ansatz und Thesen

An diesem Punkt kann ein Vergleich der Schriften von Prähistorikern im Dritten Reich einen wichtigen Beitrag zur Diskussion leisten: Eine solche Analyse ist vor allem dann sehr aufschlussreich, wenn sie sich nicht damit befasst, ob ein Text wissenschaftlich richtige Aussagen macht oder nicht, sondern davon ausgeht, dass sowohl richtige als auch falsche Inhalte ideologisch missbraucht werden können und damit die Frage nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit der Texte in den Vordergrund steht.3 Diese Art der Analyse hat den Vorteil, dass Aussagen über die Wirkung der Schriften gemacht werden können, ohne dass eine umfassende wissenschaftliche Vorbildung im Bereich der Ur- und Frühgeschichte von Nöten ist. Um gerade der fragwürdigen Unterscheidung zwischen den Mitarbeitern des Ahnenerbes und denen des Amtes Rosenberg nachzugehen, habe ich mich in meiner Magisterarbeit für einen Vergleich der Schriften von Vertretern der beiden Organisationen entschieden: Hans Reinerth vom Amt Rosenberg auf der einen, und Herbert Jankuhn, einer der wichtigsten Mitarbeiter des Ahnenerbes der SS, auf der anderen Seite. Ein Vergleich der Schriften dieser beiden Prähistoriker ist auch deshalb interessant, weil die Karrieren der beiden sich nach 1945 nicht stärker unterscheiden könnten: Hans Reinerth wurde aus der Forschungsgemeinschaft ausgeschlossen, während Herbert Jankuhn seine Karriere nach 1945 relativ schnell fortführte und zu einer großen Forscherpersönlichkeit wurde. Letztlich habe ich in meiner Arbeit untersucht, wie die Ur- und Frühgeschichte dem Nationalsozialismus nutzen konnte und auf welche Weise der Nationalsozialismus den Prähistorikern und ihrer Forschung entgegengekommen ist. Die Frage, inwieweit Reinerth und Jankuhn instrumentalisiert wurden bzw. sich freiwillig in den Dienst des Nationalsozialismus stellten, war ebenfalls Teil meiner Arbeit. Durch die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Publikationen können sich auch Historiker in stärkerem Maße an der Diskussion beteiligen. Darüber hinaus können auf diese Weise Prähistorikern neue Sichtweisen vermitteln werden. Während einem Prähistoriker auf der inhaltlichen oder wissenschaftlichen Ebene sofort klar ist, warum den Schriften Jankuhns gegenüber denen von Reinerth der Vorzug zu geben ist, ist der Unterschied zwischen den Publikationen hinsichtlich ihrer ›Machart‹, ihrer Argumentationsweise und sonstiger Strukturen plötzlich nicht mehr so groß. Genau diese Strukturen eines Textes haben aber große Auswirkungen auf die Art, wie ein Text von seinen Lesern aufgenommen wird und welche Außenwirkung ein solcher Text haben kann. Nach Durchsicht des Quellenmaterials4 ließen sich folgende Thesen aufstellen: These 1: Die unterschiedliche wissenschaftliche und biographische Ausgangslage der beiden Akteure Reinerth und Jankuhn hatte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie sie in ihren Schriften argumentierten und ihre Ergebnisse interpretierten!5 These 2: Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangslage machten beide Wissenschaftler in ihren Schriften bei der Bewertung ihres Quellenmaterials die nationalsozialistische Ideologie stark! These 3: Beide Wissenschaftler schrieben emotional aufgeladen und versuchten so, eine enge Bindung zwischen sich, dem Leser und dem Untersuchungsgegenstand herzustellen, womit eine noch bessere Rezeption der eigenen Ergebnisse und damit der Werte des Nationalsozialismus gewährleistet werden sollte! These 4: Die Schriften beider Wissenschafter zeichneten sich durch militärische Wortwahl aus und versuchten, – teilweise offen, teilweise verdeckt – mit dieser Wortwahl Assoziationen an die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der 1930er Jahre zu wecken! Diese These hängt eng mit These 3 zusammen, da sich militärische Begrifflichkeiten oft mit den dort charakterisierten Schlüsselbegriffen überschneiden.

Zu These 1: Wissenschaftlicher und politischer Werdegang

Wie in These 1 dargelegt, glaube ich, dass die unterschiedliche wissenschaftliche und biographische Ausgangslage von Reinerth und Jankuhn Auswirkungen auf die Art und Weise gehabt hat, wie die beiden argumentiert und interpretiert haben. Hans Reinerth und Herbert Jankuhn begannen beide in den 1920er Jahren eine hoffnungsvolle Karriere. Beide führten vorbildliche Grabungen durch, publizierten viel und gewannen Anerkennung für ihre Leistungen, Reinerth vor allem wegen seiner neuen Grabungsmethoden im Bereich der Feuchtbodenarchäologie (LEUBE 1999, 236 f.), Jankuhn beispielsweise für neue Methoden der Siedlungsarchäologie. Heiko Steuer charakterisiert Jankuhn zu Beginn seiner Karriere als »jung, elitär, leistungsbezogen, technokratisch, opportunistisch und ›fanatisch‹ von seinem Fach Archäologie besessen« (STEUER 2004, 505), alles Züge, die auch auf Reinerth zutreffen. Was die beiden aber bereits in den 1920er Jahren voneinander unterschied, war ihr Umgang mit wissenschaftlichen Kontrahenten: Während Reinerth die Kritik an seiner Arbeit immer auch als einen Angriff auf seine Person sah und darauf mit persönlichen Angriffen auf seine Gegner antwortete, verstand sich Jankuhn sehr viel besser mit seinen Kollegen. Solche aggressiven Züge, die Reinerth schon früh an den Tag gelegt hat, sind bei Jankuhn nicht zu finden. Das aggressive Verhalten Reinerths verstärkte sich Ende der 1920er Jahre, mutmaßlich weil seine Karriere zu stagnieren drohte bzw. bereits beendet schien, bevor sie überhaupt begonnen hatte (HALLE 2002, 129 f.; SCHÖBEL 2002, 333). Jankuhn vermehrte dagegen in dieser Zeit durch Reisestipendien seine Anerkennung auch im Ausland. Nach diesen Erfahrungen engagierte sich Reinerth aktiv für den Nationalsozialismus, womöglich weil er darin die einzige Möglichkeit für die Fortsetzung seiner Karriere sah. Demgegenüber hat Jankuhn wie die meisten Prähistoriker eine eher passiv-abwartende Rolle eingenommen, die jedoch in keinem Fall mit einer ablehnenden Haltung zu verwechseln ist. Vielmehr handelt es sich um einen graduellen Unterschied und um unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen bei Reinerth und Jankuhn: Jankuhns Karriere ging Anfang der 1930er Jahre unabhängig vom Nationalsozialismus bergauf. Daher war eine aktive Mitarbeit für ihn gar nicht notwendig, obgleich er erkannt zu haben schien, welche Vorteile mit Nationalsozialismus für das Fach Vor- und Frühgeschichte verbunden waren. Während sich Reinerth in den 1920er Jahren lediglich gegen Angriffe gewehrt hatte, begann er in seiner neuen Position als Leiter des Reichsbundes für Vorgeschichte im Amt Rosenberg, viele Wissenschaftler anzugreifen und nutzte seine Macht sogar dazu, die Karrieren und die Existenz von Kollegen zu gefährden. Die fachliche Kompetenz, die Reinerth zu Beginn seiner Karriere durchaus besessen hatte, trat in den 1930er Jahren hinter seinen Machtansprüchen und seinem Geltungsbedürfnis zurück. Anders Jankuhn: Er war während des Dritten Reiches einer der wichtigsten Prähistoriker. Einerseits wegen seiner fachlichen Leistungen, andererseits durch seinen Dienst für das NS-Regime im Rahmen der SS (STEUER 2004, 448). Es muss festgehalten werden, dass Jankuhn mit allen Mitteln im Rahmen des SS-Ahnenerbes um einen hohen Rang in dieser Organisation und gegen andere Strukturen wie den Kampfbund und Reinerth gekämpft hat. Damit legte er in den 30er Jahre ein ähnliches Verhalten wie Reinerth an den Tag, wenn ihm auch dessen Aggressivität und gewalttätiges Vorgehen fehlten. Weiterhin ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Reinerth im Laufe der 1930er Jahre immer mehr an Macht verloren hat, was höchstwahrscheinlich mit seiner Persönlichkeit zu tun gehabt hat. Jankuhn gewann dagegen immer mehr an Macht, da er fachliche, politische und kollegiale Kompetenzen besaß. Jankuhn war also Reinerth Ende der 1930er Jahre an Macht und Einfluss weit überlegen.

Zu These 2: Wissenschaftliches Argumentieren und Interpretieren

Trotz der eben zusammengestellten unterschiedlichen Ausgangslagen beider Akteure arbeiteten sowohl Reinerth als auch Jankuhn in ihren Schriften der nationalsozialistischen Ideologie zu. Bei Reinerths Publikationen zeigt sich, dass er in den 1930er Jahren vor allem die Höherbewertung der nordischen gegenüber der antik-römischen Kultur im Sinne Gustaf Kossinnas (GRÜNERT 2002) propagiert hat. Mit der Abwertung anderer Kulturen ging für Reinerth auch immer eine Herabsetzung der Wissenschaftler einher, die sich mit den jeweils anderen Kulturen beschäftigten. Ein Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung Reinerths mit der provinzial-römischen Forschung und ihren Ergebnissen Mitte der 1930er Jahre. Vor allem echauffiert sich Reinerth immer wieder über das von ihm so genannte »Barbarenmärchen« der provinzial-römischen Archäologen, das besagt, dass Süddeutschland erst durch römischen Kulturwillen zu einer höheren Gesittung kommen konnte. Beispielsweise beschrieb er in einem Aufsatz von 1936 die römische Kultur als Fremdkultur, die keinerlei »rassische oder kulturelle« Auswirkungen auf »das Deutschtum« gehabt hätte (REINERTH 1936, 204). Weiter forderte er, dass »Irrmeinungen« und »Irrglauben« wie die des Barbarenmärchens zu beiseitigen seien (ebd.). Mit solchen und ähnlichen Deklassierungen anderer Wissenschaftszweige und deren Vertreter arbeitete Reinerth in fast allen seiner Schriften und verschob die wissenschaftliche Diskussion noch weiter ins Politische, indem er die von ihm so genannten »Römlinge« und Vertreter des »Barbarenmärchens« auf liberalistische und marxistische Kreise zurückführte (z. B. REINERTH 1932, 248). Der Nationalsozialismus förderte für Reinerth die korrekte, nämlich »völkische« Wissenschaft. Dies veranlasste Reinerth, dem Nationalsozialismus gegenüber eine bestärkende Haltung einzunehmen. An erster Stelle standen für Reinerth nicht der Fund und die sich daraus ergebende Deutung, sondern die nationalsozialistische Ideologie, der der Fund angepasst werden musste. Es ist bezeichnend für Hans Reinerth, dass er seine Ergebnisse nicht als Hypothesen präsentiert und diese zur Diskussion gestellt hat. Dagegen ist in seinen Publikationen beispielsweise oft von »Allgemeingut« die Rede. Ein wissenschaftlicher Diskurs war also von vornherein ausgeschlossen. Jankuhn dagegen war ein kritisch arbeitender Wissenschaftler, der das Methodenspektrum seines Faches kannte und auch je nach Fragestellung anwendete. Gegenüber den Thesen Kossinnas war er in seinen Schriften immer zurückhaltend, erörterte aber deren Stellenwert und machte vor allem während des Dritten Reiches Konzessionen an Kossinna. Jankuhn forschte nach politischen Gemeinschaftsformen und Herrschaftsbildung in germanischer Zeit. Durch diese Fragestellung konnte er sich von vornherein nicht vom kossinnaschen Prinzip lösen, obwohl er es eigentlich ablehnte. Vor allem hier sind die legitimierenden Bemühungen Jankuhns um ein bis in vorgeschichtliche Zeiten zurückreichendes Germanentum zu sehen: Jankuhn stellt z. B. in einem Aufsatz von 1938 fest, dass »man also die Geschichte des germanischen Volkstums bis zu seinen Wurzeln am Übergang zwischen Stein- und Bronzezeit zurückverfolgen und in den Trägern der bronzezeitlichen Kultur im nordischen Kreis die ältesten Germanen sehen kann« (JANKUHN 1938, 272). Mit dieser Annahme konnten von Jankuhn alle Leistungen und Errungenschaften der Bronzezeit als Leistungen der direkten Vorfahren der Deutschen der 1930er Jahre gesehen werden. Von Jankuhn wurde außerdem – ähnlich wie bei Reinerth – die Sonderrolle der Germanen herausgestellt, die auf das Alter und das weite Zurückreichen dieser Gruppe zurückzuführen war (JANKUHN 1937, 3). Durch seine Bewertungen und Interpretationen förderte also auch Jankuhn die Sache des Nationalsozialismus. Jedoch ging Jankuhn nicht so weit, dass er seine Quellen und sein Fundmaterial überging, denn Jankuhn versuchte, eher durch Umwertungen oder bestimmte Interpretationen sein Material im Sinne des Nationalsozialismus zu deuten. Beispielsweise interpretierte Jankuhn ‚Umschichtungen‘ in der germanischen Geschichte, die bisher als Degenerationserscheinungen galten, als »politische Umbildungen« (JANKUHN 1938, 279). Andererseits meinte aber auch Jankuhn, anhand der Keramikverzierung die Höherentwicklung der Germanen gegenüber anderen Völkergruppen beweisen zu können (JANKUHN 1937, 14).

Zu These 3 und 4: Stilistische Strategien

Beide Autoren arbeiteten in ihren Schriften mit bestimmten Strategien, um eine enge Bindung zwischen sich und ihren Rezipienten herzustellen. Dies zeigt sich zum einen an der Verwendung bestimmter Personalpronomen, die eine direkte, fast schon familiäre Beziehung zwischen den Deutschen der 1930er Jahre und ihren vermeintlichen prähistorischen Ahnen hervorbringen sollte. Neben der besseren Aufnahme des Dargestellten wurden so auch bestimmte Emotionen bei den Lesern geweckt, z. B. versuchte Reinerth oft das Gefühl zu wecken, ungerecht behandelt worden zu sein. Dem Nationalsozialismus fiel bei Reinerth dann auch die Aufgabe zu, die bestehenden »Missstände« zu beseitigen und endlich für die Durchsetzung der richtigen Lehre oder Auffassung zu sorgen, womit das System zusätzlich legitimiert wurde. Auch Jankuhn suchte diese enge Bindung zum Leser und schmeichelte auf diese Weise vor allem persönlichen Eitelkeiten. Für beide war dieses emotionale Schreiben auch deshalb so wichtig, weil es den Übertrag der Verhältnisse der Vorzeit auf die 1930er Jahre erleichterte. Durch Reinerths Ergebnisse sollten zum einen Besitzansprüche Frankreichs und Polens zurückgewiesen werden können, zum anderen der Anspruch auf deutschen Volksboden legitimiert werden, der nach Reinerth Jahrtausende weit zurückverfolgt werden konnte. Ebenso sollten mit den Ergebnissen seiner Forschung Expansionsbestrebungen gerechtfertigt werden: Wie die Germanen schon in Urzeiten ihr Gebiet verteidigten und sich weiter ausdehnten, so sollten die vermeintlichen Nachkommen der Germanen durch den Nationalsozialismus ihr Gebiet verteidigen und erweitern. Vor allem im Vokabular Reinerths schwingen diese Grundsätze immer mit: Reinerth spracht von »nordischem Blut«, von »blutmäßigem Geschehen«, von »Verbundenheit«, und »volkshaftem Werden«. Er meinte, dass nur »arteigenes Volkstum« erforscht werden dürfe, dass ein »völkischer Standpunkt« eingenommen werden müsse: Er lehnte die Forscher ab, die »Irrlehren« und »Barbarenmärchen« verbreiteten und dabei das »völkische Geschichtsbild« vernachlässigten. »Siedlungsraum« wurde nach Reinerth in »erfolgreicher Landnahme« erweitert, die »überlegene Kultur« wurde in einem »Siegeszug« über ganz Europa ausgebreitet und ein »sesshaftes Bauerntum« wurde begründet. Gebiete wurden »unterworfen«, »Wehrwille« und »Wehrkraft« wurden den Germanen nur auf Grund von kleinsten Funden unterstellt und die Begriffe »Führer« und »Kampf« sind in fast allen Schriften Reinerths bedeutend. Ähnliches lässt sich auch an dem von Jankuhn benutzen Vokabular festmachen. Jankuhn hat z. B. vom »Leben und Sterben vergangener Geschlechter, die […] ein Glied in der unendlichen Kette unseres Volkstums darstellen, ebenso eng verbunden mit den Ahnen, wie mit den Enkeln und Urenkeln und so hineinragen in das Leben der Jetztzeit …«, vom »Geschick der Blut- und Schicksalsgemeinschaft« und von Haithabu als der »große[n] germanische[n] Handelsstadt [die] einen Abschnitt germanischer Vorzeit [beleuchtet], in dem noch einmal die ungebrochene Kraft des Germanentums gestaltend hervortritt« gesprochen. Auch Jankuhns Germanen kämpften als »gesundes Bauernvolk«, um den »mitteleuropäischen Siedlungsboden« und um den »Ostraum«. Die Macht der Germanen im Osten wird betont, die nach Jankuhn erst Staatsgründungen möglich machte. Den Polen warf Jankuhn vor, den germanischen Einfluss zu verleugnen und auch er schrieb den Germanen ein Expansionsbedürfnis zu, das auf die Deutschen der 1930er Jahre übertragen wurde und das er positiv bewertete. Solche Verknüpfungen finden sich in Jankuhns Schriften an mehreren Stellen. Auch bei Jankuhn gibt es die Beschreibung von Führergestalten, die der Beschreibung durch Reinerth sehr ähnelt. Solche und ähnliche Stellen zeigen, dass auch Jankuhn möglichen Forderungen der nationalsozialistischen Politiker an die Wissenschaft nachgekommen ist, die nach politischen Aussagen zum Ruhme der Germanen gefragt haben.

Fazit

Anhand der Schriften von Reinerth und Jankuhn zeigt sich, dass beide sich für die Legitimation des nationalsozialistischen Staates engagiert haben. Vor allem Reinerth versuchte, bereits feststehende weltanschauliche Axiome der Zeit wissenschaftlich nachträglich zu beweisen. Jankuhn ließ sich zwar nicht so streng auf ein ideologisches Programm verpflichten und versuchte immer noch, den Fund vor der Deutung und der Ideologie zu sehen. Deshalb war er wohl auch vorsichtig mit rassischen Deutungen. Aber auch seine Interpretationen glichen sich dem Zeitgeist an und erlaubten ideologische Rückschlüsse im Sinne Himmlers. Beide wurden auf diese Weise teilweise vom Nationalsozialismus instrumentalisiert, wobei beide freiwillig und nicht unter Zwang ihre politische Forschung betrieben. Beide passten sich in ihren Schriften den Zeitumständen an. Für beide, wie für die meisten Prähistoriker, hatte die Archäologie im Nationalsozialismus das Ziel, das Gesellschaftssystem zu rechtfertigen, indem sie ihm historische Tiefe, kulturelle, religiöse und / oder ethnische Einmaligkeit zu verleihen versuchte. Zum anderen ließen sie es zu, dass die Gesellschaft und die Politik die Ziele und die methodisch-theoretische Grundlage ihrer Wissenschaft bestimmten und beide versuchten, die Überlegenheit der eigenen Rasse zu zementieren (BERTEMES 2002, 100). Das Bild von Reinerth als Alleinschuldigen in den 1930er Jahren muss deshalb weiter revidiert werden, was aber nichts an der richtigen Einschätzung seines brutalen Vorgehens ändert. Reinerth war bereit, die Wissenschaft der Ideologie unterzuordnen, während Jankuhn versuchte, Ideologie und Wissenschaft auf einer Ebene zu vereinen. An den vielen Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten in Jankuhns Schriften zeigt sich, dass dies nicht immer gelang. Jankuhn ist ein sehr guter Wissenschaftler gewesen, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass er auch überzeugter Nationalsozialist gewesen ist. Jankuhn verdankte seine Karriere nicht der Hingabe an die SS, jedoch nutzte er alle Möglichkeiten, die ihm die politische Lage eröffnete. Reinerth ordnete die Wissenschaft der Ideologie unter, während Jankuhn seine Quellen nicht immer übergehen wollte oder konnte. Hatte also Reinerth der Wissenschaft den größeren Schaden zugefügt und den Staat in stärkerem Maße legitimiert? Dazu ein Zitat von Schöttler: Nicht so sehr die platten Propagandisten waren Legitimationswissenschaftler, sondern jene, die dem Regime einen Anschein von wissenschaftl. Normalität gaben und gleichzeitig seinen Zielen dienten (SCHÖTTLER 1997, 27 Anm. 43) Vor allem in den Schriften wird klar, dass Reinerth zum Ende der 1930er Jahre nichts Neues mehr zu sagen gehabt, sondern lediglich seine alten Parolen und Propagandasprüche wiederholt hat. Zudem verlor Reinerth zu dieser Zeit zunehmend an Anhängern. Reinerth und seine Schriften hatten zum Ende der 1930er Jahre hin nicht mehr die Wirkung wie zu Beginn des Jahrzehntes. In der prähistorischen Forschung spielte er zu dieser Zeit – zumindest in der Praxis – nicht mehr die entscheidende Rolle. Diese Rolle nahm langsam Jankuhn ein, der es verstand, die Sprache des Dritten Reiches zu nutzen und der für die Ideologen auch die »richtige Botschaft« übermittelte, und zwar nicht in der plumpen Art Reinerths, sondern relativ ›wissenschaftlich‹ korrekt. Von Hans Reinerth befreite sich die Ur- und Frühgeschichte nach 1945 in vollem Maße, indem sie sich von ihm distanzierte und es nicht zuließ, dass er sich nochmals in der wissenschaftlichen Landschaft etablierte. Prähistorikern wie Jankuhn aber war der Weg zurück in die Fortsetzung ihrer Karriere nicht versperrt. Hier soll weder eine Verunglimpfung Jankuhns betrieben werden, der sich als große Forscherpersönlichkeit nach dem Dritten Reich in fast 40 Jahren in Forschung und Lehre wohl mehr als rehabilitiert hat, noch sollen die Taten und das Vorgehen Reinerths gerechtfertigt werden. Jedoch scheint bei der Bewertung beider Wissenschaftler mit unterschiedlichem Maß gemessen worden zu sein und dies wird umso deutlicher, betrachtet man deren Schriften während des Dritten Reiches.

Katharina Krall Annenesch 22 88639 Wald katja_krall@web.de

Literatur

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